Hans-Peter Ecker:
Von den kleinen Schwächen der Heiligen
Die Rekordsucht ist die Kehrseite eines vernünftigen Sportsgeistes und zugleich eine weitverbreitete menschliche Untugend. Leider hat dieser Wahn, wie die Legenden zeigen, auch vor unseren lieben Heiligen nicht haltgemacht.
Sankt Petrus schlug Malchus im Garten Gethsemane ein Ohr ab; darauf fiel Sankt Andreas nichts Klügeres ein, als den Legionär Fabricius mitteld der Schärfe seiner Sichel um beide Ohren und zusätzliche drei Finger zu berauben.
Der Apostel Johannes speiste weiland in einer Pause zwischen zwei Predigten fünftausend Gläubige mit sieben Fischen; ein paar Wochen später ließ der Apostel Paulus bei einer ähnlichen Gelegenheit neuntausend bei zwei und einem halben Fisch beinahe verhungern, nur um jenem den Rekord abzunehmen.
Um Sankt Ephräsius zu übertreffen, der sechs Jahre auf einer zwölf Meter hohen Säule zugebracht hatte, harrte Sankt Koriander bei angegriffener Gesundheit und übelster Laune dreizehn Jahre auf einer einhundertvierundvierzig Meter hohen Säule aus.
Nur weil der heilige Laurentius auf einem Rost gebraten worden war, bestand der heilige Olof, nachdem er sich bereits zwanzig Tage in einem Essigfaß mariniert hatte, auf einem Kontaktgrill.
Sobald Sankt Carrachio zu Ohren kam, daß sich im fernen Europa ein gewisser Bonifaz durch das Fällen einer gewissen Donareiche großen Ruhm erwerben konnte, rodete er die amazonischen Urwälder bis auf den letzten Stamm.
So man nur weitersuchte, wäre der Beispiele kein Ende.
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