Und bei Höll vier Stunden im Deutschausatz sitzen. Höll sitzt hinter seiner Zeitung. Das finde ich nett von ihm, weil man so nicht den Eindruck hat man wird von ihm beobachtet. Das würde beim Nachdenken auch stören. Höll hat immer herumgebrüllt. Und einen roten Kopf hatte er auch. Aber Herumbrüllen, das wußten wir, das war relativ harmlos, das war eher ein allgemeiner Verzweiflungsschrei über das Gesamtniveau der Klasse. Immerhin ist der Ungar ein bekannter Fußballkommentator geworden. Man will es ja erst nicht glauben, wenn man die Stimme seines Klassenkameraden plötzlich andauernd im Fernsehen zu hören bekommt und man erkennt ihn an der Stimme, schon damals hat er die ganze Klasse mit kurzen Einlagen, Kommentaren über Fußballspiele erheitert.
Zanella dagegen bekam zum Abitur einen Sportwagen geschenkt während ich eine Taschengelderhöhung von zehn Mark monatlich auf Sechzehn Mark monatlich bekam. Aber Zanella hat sich auch schon vorher den Apfel oder die Florida boy Orange zu fünfzig Pfennigen im Wiesbadener Hauptbahnhof leisten können. Damals gabs auch noch keinen Fonds für Minderbemittelte die nicht mit in die Skifreizeit können. Vor allem als die dann alle zurückkamen, und ich hatte nicht mal schulfrei, sondern mußte für vierzehn Tage mich in die Parallelklasse hocken, Sauerei, also, als die zurückkamen da waren die alle sehr vertraut miteinander und bildeten verschworene Grüppchen. Und ich war völlig außen vor. Nicht dabei. War ja eh wenig kommunikativ. Dorfdialekt und so. Eltern lesen keine Zeitung. Da lachten die alle. Welljerholz. Deppen. Höhere. Kluge Leute. Kinder kluger Leute. Connie war voll ok. Die einzige die die Hand hob, bei, wer hat noch eine Möglichkeit einen Mitschüler über Mittag mit nach Hause zu nehmen, weil der Turnunterricht am Nachmittag ist. Das ging dann nahtlos in die Klavierstunde über, die auch nachmittags war. Das waren meine Leute, damals. Da durfte man saubere Joghurtbecher im Backofen zu runden Kunstwerken schmelzen. So etwas hätte Mutter niemals erlaubt. Die konnten sogar Tips bei Hausaufgaben geben die Eltern, das war ganz wunderbar, da konnte man was fragen und bekam eine Antwort, nicht „Beim Essen spricht man nicht“. Gerade. Aber Connie war eher wie ein Junge. Sie spielte gerne Fußball. Wenigstens eine Sache die man mit ihr unten im Hof machen konnte. Sie sah auch nicht wie ein Mädchen aus. Außerdem hatte sie eine Zahnspange. Und sie hatte immer eine freche Antwort parat. ich fühlte mich überfordert sie mögen zu sollen. Aber es ging auch so. Wir kamen miteinander aus. Ihr jüngerer Bruder wollte wohl mit mir spielen, ich aber nicht mit ihm. Ich kannte jüngere Brüder ja. Die belegen einen andauernd mit Beschlag und stehlen dir alle deine Zeit. Ich fand andere Haushalte, andere Leute, andere Erwachsene, andere Eltern, einfach toll. Feine Leute eben. Da hatte man einen ganz anderen Umgang miteinander zu entdecken. Und das Mittagessen war auch völlig anders. Nur diese Kutteln in Soße mochte ich nicht so gerne. Aber man mußte sie wenigstens nicht essen. kein, es wird gegessen was auf den Tisch kommt. Das waren nette Leute, und die wohnten auch ganz nahe an der Schule.
Höll, der den legendären Satz ausrief nach einer Lobeshymne „aus dem Schmidt wird doch noch mal was“ nach meinem Don Carlos Kommentar „der Gedanke strebt zur Tat“, eher ein verzweifelter Zufallstreffer der zufällig gut passte und der mich von meiner jahrelangen Deutschdauervier auf eine Dauerdrei hiefte, im Abi ist dann sogar eine zwei geworden, da ich einen ebenfalls legendären Aufsatz schrieb über das Fernsehen, und wie ich das Fernsehen als Unterhaltungspartner beurteile, meine allererste Zwei in Deutsch sogar mit einem Plus dahinter. Meine Eltern schienen das nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen, ich erzählte das meinen Leuten die ich einmal die Woche sah, da gabs ein Lob. Ich hatte das wirklich dringend nötig. Der Aufsatz über das Fernsehen, der war gut, ich hab ihn mit fünfzig nochmal in den Händen gehabt und gelesen, das würde ich alles heute noch unterschreiben.
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