Weit, weit im Norden liegen die Sümpfe der Traurigkeit, und in ihrer Mitte ragt der Hornberg auf, wo die Uralte Morla wohnt. Nebelschwaden wabern darüber, und Bäume stehen auf vielen Wurzeln im brackigen schwarzen Wasser. Wer die Sümpfe der Traurigkeit betritt, der spürt, wie allmählich die Hoffnung aus seinem Herzen schwindet. Mit jedem Schritt überkommt ihn tiefere Traurigkeit. Immer schwerfälliger bewegt er sich unter der Last der Traurigkeit. Irgendwann drückt ihn die Traurigkeit tiefer in den schlammigen Boden, doch zu mutlos ist er, als daß er sich wieder herauszuarbeiten suchte. Schwerer und schwerer wird er, bis selbst der Wille zu leben ihn verlässt. Atréjus Pferdchen Artax erleidet dieses Schicksal, als Atréju sich auf die Suche nach der Uralten Morla macht. Atréju selbst ist durch Auryn geschützt und gegen die Traurigkeit gefeit. Von Auryn geführt erreicht Atréju den Hornberg inmitten der Sümpfe: einen hohen, steilen Berg aus Hornplatten. In ihren Rissen wuchert Moos. Der Hornberg ist der Panzer einer riesigen Sumpfschildkröte, der Uralten Morla.
Morla redet mit sich selbst: die verkörperte Beziehungslosigkeit. „Ist alles leer. Nichts ist wirklich, Nichts ist wichtig“ und „Ist doch alles nur Schein.“ Mit diesen Worten verweist Morla auf das Nichts und die Krankheit der Kindlichen Kaiserin: Die Phantasie wird als „Schein“ aus der Menschenwelt isoliert. Von der Morla erfährt Atréju auch, dass die Kindliche Kaiserin einen neuen Namen braucht: „Ihr Dasein bemisst sich nicht nach Dauer, sondern nach Namen.“ Kein Wunder – die Phantasie ist zeitlos.
Wie kommt Morla in die Sümpfe, wovon lebt sie, und vor allem: warum versinkt sie nicht? Darüber streitet man sich in Phantásien. Die eine Theorie besagt, dass die Uralte Morla nicht versinkt, weil sie ein Teil der Sümpfe geworden ist. Irgendwann, vor langer, langer Zeit, kam die Morla in die Sümpfe der Traurigkeit. Weil sie sich so langsam fortbewegte, drang auch die Traurigkeit nur ganz langsam in sie ein. Sie ernährt sich von den Pflanzen in den Sümpfen und hat die Sümpfe so in sich aufgesogen. Weil sie ein Teil des Sumpfes geworden ist, kann sie nicht darin versinken. Die andere Theorie besagt, dass die Uralte Morla noch älter ist als selbst die Sümpfe der Traurigkeit. Irgendwann in grauer Vorzeit soll sie, durch ihr schon damals hohes Alter gleichgültig geworden, sich an dem Ort niedergelassen haben, wo noch heute der Hornberg steht. Sie hörte einfach auf, sich zu bewegen, wurde gleichgültiger, trauriger, solange bis ihre Traurigkeit auf die Umgebung übergriff. Ihre Tränen durchtränkten nach und nach den Boden, der wurde sumpfiger und feuchter, die Sonne zog sich aus der Gegend zurück, Nebelschwaden begannen darüber zu wabern. Je älter die Morla wurde, desto größer wurden auch die Sümpfe der Traurigkeit. Wegen ihrer Bewegungslosigkeit braucht sie keine Nahrung mehr – sie ist Teil und Ursprung der Sümpfe der Traurigkeit. Auch nach dieser Theorie kann sie deshalb nicht versinken.
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