Der Löwe und die Maus
Eine lebenslustige, kleine Maus tollte übermütig um einen Löwen herum, der in der warmen Mittagssonne vor sich hindöste. Der waghalsige Mäuserich stieg dem König der Tiere sogar auf die riesigen Pranken und beäugte sie neugierig. Da wurde der Löwe wach, packte die kleine Maus und wollte sie fressen.
Das Mäuschen zappelte vor Angst und stotterte: »Lieber Herr König, ich wollte dich nicht aufwecken, wirklich nicht. Bitte, bitte, laß mich leben. Was hast du von so einem geringen, mageren Bissen, den deine großen Zähne nicht einmal spüren? Sonst sind Hirsch und Stier Opfer deiner ruhmreichen Jagd. Was kann dir denn ein so winziges Wesen, wie ich es bin, schon für Ehre einbringen? Ich gebe dir mein Mausewort, wenn du mich freiläßt, dann werde ich dir bestimmt auch einmal aus der Not helfen.«
Der Löwe mußte über diese kühnen Worte schmunzeln, und versonnen betrachtete er den kleinen Wicht in seinen großen Tatzen. Der Gedanke, daß er jetzt Herr über Leben und Tod war, erschien ihm göttlich. »Lauf, kleiner Wildfang, ich schenke dir dein Leben«, sagte er feierlich und öffnete langsam seine Pranken. Als die Maus behende davonflitzte, rief er ihr neckend nach: »Vergiß dein Versprechen nicht!«
Einige Monate später geriet der Löwe auf seiner Jagd in eine Falle. Ein festes Stricknetz hielt den gewaltigen König der Tiere gefangen. Der Löwe tobte und zerrte an den Maschen, aber es half nichts, das Netz war zu eng geknüpft. Der Löwe konnte sich kaum darin bewegen.
Eine Maus huschte vorbei, stutzte und piepste: »Bist du nicht der große Freund von meinem Bruder, den du Wildfang genannt hast?« Im Nu hatte er seinen Bruder herbeigeholt, und beide Mäuschen zernagten emsig und mit großer Ausdauer die festen Maschen, Stück für Stück, bis sie ein großes Loch ins Netz gebissen hatten, durch das der dankbare Löwe entkommen konnte.
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