>Info zum Stichwort Kurze | >diskutieren | >Permalink 
Craig McDermott schrieb am 3.11. 2008 um 00:42:40 Uhr über

Kurze

Nach Jahren einer strukturtheoretischen Analyse des Nationalsozialismus hat sich spätestens mit Ian Kershaws Hitler-Biografie die Einsicht in die Bedeutung persönlicher Elemente in der Beurteilung des NS-Regimes erneut Bahn gebrochen. Unter dieser Perspektive allerdings erscheint Heinrich Himmler, der „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ – um nur den wichtigsten seiner zahllosen Titel zu nennen –, als umso rätselhafter. „Wie konnte eine so farblose Persönlichkeit eine historisch so einmalige Machtfülle erreichen?“, fragt Peter Longerich, der 53-jährige Historiker und Professor an der Universität London, zu Beginn seiner Biografie des SS-Führers. Und betont zugleich: „Ohne den Mann an ihrer Spitze lässt sich diese heterogene, ständig expandierende und sich radikalisierende Organisation nicht umfassend erschließen.“

Es genügt, sich die alles andere als eindrucksvolle Physiognomie dieses bebrillten Schreibtischtäters vor Augen zu halten, um die Rätselhaftigkeit seiner Wirkungsmacht zu erkennen. Göring war der ebenso barocke wie dumm-brutale Lebemann, Goebbels der hochintelligente Fanatiker, Bormann der verschlagene Verwalter von geradezu stalinistischem Zuschnitt, Speer der gewissenlose Technokrat. Über den Rest herrscht, salopp gesagt, Schweigen. Gerade die Mediokrität der NS-Elite hat Anlass gegeben, im Regime eine bloße Maschinerie zu sehen, die, einmal in Gang gesetzt, quasi von allein funktionierte.

In dieses Bild passte Himmler (1900- 1945) als farbloser Bürokrat des Verbrechens. Doch diese Sicht ist mit Longerichs magistralem Werk überholt. Zwar bleibt letzten Endes weiterhin erstaunlich, was diesem Mann einen bis unmittelbar vor dem Ende 1945 ungebrochenen Aufstieg ermöglichte, bei dem er alle Konkurrenten der NS-Polykratie hinter sich ließ. Aber es wird eindrucksvoll deutlich, dass es nicht allein das bürokratische Funktionieren war oder auchwie bei seinem Stellvertreter Reinhard Heydrichblanker Machtwille, sondern eine den Zeitgenossen oft als verschroben erscheinende ideologische Fundierung, die ihm eine Richtschnur inmitten aller taktischen Manöver des Machterwerbs bot.

Es ist dies, so Longerich, „das Leitmotiv des ewigen Kampfes ,germanischer’ Helden gegen ,asiatischeUntermenschen“. DiesesLeitmotivwar ebenso vage wie flexibel. „Himmlers eigentliche Stärke“, schreibt sein Biograf, „bestand darin, alle zwei bis drei Jahre jeweils neue Konzeptionen für seinen Machtbereich zu entwerfen, die den einzelnen Teilen dieses heterogenen Machtkonglomerates aufeinander bezogene Aufträge zuwiesen, die auf die Gesamtpolitik des Regimes abgestimmt waren und sich sowohl machtpolitisch wie ideologisch begründen ließen.“

Die Kernfrage jeder Beschäftigung mit Himmler bleibt diejenige nach der Verantwortung für den Holocaust. Vollständig kann auch Longerich die Radikalisierung der Judenverfolgung vom Angriff auf die Sowjetunion bis zur Wannseekonferenz Ende Januar 1942 und die fraglose Umsetzung der zuvor nicht als Massenmord gedachten „Endlösungnicht aufhellen. Doch der Ansatz, neben dem durchgängig überaus geschickt betriebenen Machterwerb die ideologische Komponente im Blick zu behalten, vermag diese Leerstelle plausibel zu füllen. „Auf dem Höhepunkt der nationalsozialistischen Eroberungspolitik“ – im Herbst 1941, bevor die Offensive der Wehrmacht vor Moskau scheiterte – „ersetzte er die Vorstellung eines ,germanischen’ Reiches durch die Vision eines ,großgermanischen’ Imperiums.“ Dieses Imperium, das Longerich als eintotalitär regiertes Herrschaftsgebilde, das konsequent auf einer rassischen Hierarchie aufgebautsein sollte, beschreibt, bedingte in letzter Konsequenz die Ausrottung der „jüdischen Rasse“.

Himmlers eigene Radikalisierung folgte derjenigen Hitlers, der den Krieg seit August 1941 zumKrieg gegen die Judenerklärte und die Anti-Hitler-Koalition alsjüdische Weltverschwörung“ brandmarkte. Longerich hätte allerdings deutlicher machen müssen, dass Himmler stets sorgsam auf Hitler bezogen bleibt, der dieLebensraum“-Politik bereits in der Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939 offen ausgesprochen hatte. Die bestimmende Rolle Hitlers, dessen Ziele an Radikalität alles übertrafen, was seine Adepten sich vorzustellen vermochten, rückt bei Longerich allzu stark in den Hintergrund. Hitler war der Dreh- und Angelpunkt der NS-Politik und gerade für Himmler der nie bestrittene „Führer“.

Über eine konkrete Anordnung des Völkermordes gibt es bekanntlich keine Dokumente. Er bedurfte allerdings, weil er Hitlers lange zuvor gebildetem Judenhass entsprach, keines Befehls und schon gar keiner Legitimation in dem Moment, da er den Herrschaftserfordernissen des kriegerisch expandierenden Reiches entsprach. Einmal in Gang gesetzt, genügte jeder Anlass


   User-Bewertung: /
Oben steht ein nichtssagender, langweiliger Text? Bewerte ihn »nach unten«, wenn Du Bewertungspunkte hast. Wie geht das?.

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »Kurze«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »Kurze« | Hilfe | Startseite 
0.0112 (0.0029, 0.0068) sek. –– 854552821