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DER MARKT-FORSCHER
König Kunde dankt ab
Von Carsten Matthäus
Der einst so souveräne König Kunde ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Von Werbetreibenden der niedrigsten Instinkte bezichtigt, von Händlern zu Verrenkungen gezwungen und von Politikern mit Pfandbons gedemütigt, gibt er auf.
Wir, der hochmögende König Kunde, fühlen uns genötigt, Händlern und Dienstbefohlenen folgendes bekannt zu geben:
Nach langer Leidenszeit ist es genug. Wir werfen unser königliches Zepter hin. Es hat uns mürbe gemacht, immerfort im ohrenbetäubenden Lärm der Marktschreier nach dem vorteilhaftesten Angebot zu suchen. Mit unflätigen Parolen wie »Geiz ist geil« oder »Wir können nur billig« hat man uns den letzten Rest Noblesse geraubt. Wir sind es leid, wie die Fische nach kleinen Preisen zu schnappen, die man als quietschendes und kicherndes Puppenspiel vor unserer Nase herumtanzen lässt. Es ist zu viel des Guten, uns mit einer undurchschaubaren Flut von Rabatten zu überhäufen. So leben wir fortwährend in dem Glauben, wir hätten zu teuer eingekauft. Um unsere Verwirrung auf die Spitze zu treiben, wird es fortan auch Schlussverkäufe am Ende der kalten und warmen Jahreszeit nicht mehr geben.
Wie groß unsere Schmach geworden ist, zeigt uns ein Besuch des saudi-arabischen Königs Fahd, der vor nicht allzu langer Zeit in seinem Anwesen am Genfer See weilte. Weil man seinen Lebensrhythmus nicht durcheinander bringen wollte, öffneten die Geschäfte im Umland für ihn und sein Gefolge zu mitternächtlicher Stunde. Man stelle sich den Aufschrei vor, den solche Kundenfreundlichkeit hier zu Lande verursacht hätte.
Dass wir dann mancherorts auch noch Turnübungen vollführen sollten, nur um noch etwas weniger Geld für unsere Ware zu bezahlen, damit war tatsächlich jedes Maß überschritten. Wie sehr müssen wir uns noch wegen unserer allseits bekannten Schwäche für billige Ware demütigen lassen?
Nicht genug, dass wir ohne Murren - und mit einiger Mühe - Wein und Speisen eigenhändig von Paletten herunterwuchten, damit sich das Verkaufspersonal auch ja nicht von seinem Sessel erheben muss. Nicht genug, dass wir uns gemeinsam mit vielen anderen Königsfamilien in lange Schlangen stellen und abwarten, bis sich endlich die goldene Schatulle des Händlers öffnet, damit wir unser Geld hineintun. Nicht genug, dass wir uns in aller Demut verbeugen, wenn ein Verkäufer ob unserer Unkenntnis technischer Fachworte einen Wutausbruch bekommt.
In einem Handstreich hat man unser gesamtes Hab und Gut in eine neue Währung umgemünzt und uns damit in schwerste Bedrängnis gebracht. Als wären wir schlagartig senil geworden, verloren wir plötzlich jegliches Gefühl für den angemessenen Preis. Schamlos haben so manche Kaufleute diese unsere Angreifbarkeit ausgenutzt und ein regelrechtes Durcheinander aus alten und neuen Preisen und Währungen angezettelt. Andere haben uns mit unverschämten Preiserhöhungen unverzichtbarer Güter und Dienste - Brötchen und Haartracht seien hier nur als Beispiele genannt - gezeigt, wie nichtig unsere Macht geworden ist.
Als wir uns gerade wieder ein wenig gefangen hatten, kam der nächste Schock für unser lädiertes Preisbewusstsein. Die Deutsche Bahn dekretierte ein Preissystem, das wir voraussichtlich in diesem Leben nicht mehr verstehen werden. Nicht selten verknoten wir unsere Hände bei dem Versuch, die möglichen Einsparungen mit unseren Fingern nachzustellen. Immer wieder wachen wir nachts schweißgebadet auf, aus Angst, unser Geld für die nächste Passage nicht fristgerecht abgeliefert zu haben. Das ist eines Königs nicht würdig.
Dann brachte uns auch noch eine übereifrige Ministerin namens Renate Künast um den Verstand. Nicht lange ist es her, da zog sie gegen raffgierige Händler zu Felde und nährte marktschreierisch unsere Angst, irgendwo über den Tisch gezogen zu werden. Später dann forderte sie uns auf, die Waren der Kaufleute in den Lagern verkommen zu lassen, die zu niedrige Preise fordern. Sie will uns gar mit neuen Gesetzen vor solch günstigem Einkauf in Schutz nehmen lassen.
Seit Beginn dieses Jahres hat ihr Kollege Jürgen Trittin den Part übernommen, unser Ansehen als Könige in aller Öffentlichkeit mit Füßen zu treten. Wie die Bettler müssen wir bald alle unsere Gefäße mitsamt stinkenden und klebrigen Getränkeresten wieder zum Händler zurücktragen. Zusätzlich wird es uns dabei auferlegt, zur Erlangung des Pfandes auch wieder zu dem Händler zurückzukehren, bei dem wir eingekauft haben. Damit hat man uns vor aller Augen vom König zum Tanzbären gemacht.
Der Hoffnung beraubt, jemals wieder zu unserer einstigen Größe aufsteigen zu können, ist es uns keine Freude mehr, unser Geld zu verteilen. Wir danken ab.
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