Politische Literatur
KrisenproduktionsmaschineKatastrophen als kapitalistisches Machtinstrument: Naomi Klein betreibt Systemkritik.
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Gemachte Krise. Opfer des Wirbelsturms Katrina in New Orleans. - Foto: AFP Von Kathrin Röggla
17.9.2007 0:00 Uhr Von Kathrin Röggla
17.9.2007 0:00 Uhr
Nach dem „militärisch-industriellen Komplex“ der 70er und 80er Jahre, dem Casino-Kapitalismus der 90er jetzt also der Katastrophen-Kapitalismus-Komplex. Ein wenig klingt das schon nach altem Wein in neuen Schläuchen, doch Naomi Klein geht es nicht darum, ein neues Label zu erfinden, sondern, und das gelingt ihr sehr überzeugend, die Genese eines weltumspannenden Systems zu erzählen, welches sich durch ein herausstechendes Merkmal auszeichnet: Es produziert Katastrophen, nicht nur, um Profit daraus zu ziehen, sondern um sich als herrschende Machtstruktur fix zu installieren, bis aus dem militärisch-industriellen Komplex jenes Regierungsunternehmen wird, dem jeder Bewohner dieses Planeten unterworfen ist.
Am Ausgangspunkt dieser Geschichtsschreibung stehen die Elektroschockexperimente der Psychiatrie Anfang der 50er Jahre, die auf der Vorstellung der Entprägung des Menschen durch fortschreitende Regression beruhten, den man quasi als Tabula rasa mit gesunden Verhaltens- und Denkweisen dann „neu kodieren“ könne. Eine zerstörerische Technik, die leider massiv eingesetzt und bezeichnenderweise ziemlich schnell von der CIA als Foltertechnik adaptiert wurde, bekannt aus Guantanamo und Abu Ghraib. Naomi Klein setzt dazu in Analogie die Entwicklung eines Wirtschaftsmodells an der University of Chicago in jenen Jahren, das ebenso von der Notwendigkeit der Tabula rasa ausging: Milton Friedmans fundamentalistisches Kapitalismuskonzept, das den Versuch der Entprägung ganzer Gesellschaften und ihrer Neuschreibung als ein System neoliberaler, „freier“ Marktwirtschaft nach sich ziehen sollte.
In einem Gang durch die Geschichte der letzten 50 Jahre vollzieht sie nun den Einfluss seiner Schule in den unterschiedlichsten Ländern nach und stellt fest, dass diese radikalisierte Form von Marktwirtschaft niemals über den demokratischen Weg, sondern immer über Krisen und Schocks etabliert wurde, die nicht selten mit Hilfe von transnationalen Multis und in Zusammenarbeit mit der CIA oder anderen Regierungsorganisationen erst herbeigeführt und dann mit Terror aufrechterhalten wurde – ganz einfach, weil sie die Ausplünderung breiter Schichten einer Gesellschaft bedeutet, deren Widerständigkeit es zu brechen gilt. Von Pinochets Putsch in Chile 1973 über den Ausverkauf der Sowjetunion bis zum Irakkrieg und letztendlich der Post-New-Orleans-Situation in den USA ergibt sich immer wieder dasselbe Muster des Herstellens und Ausnützens einer Krisensituation sowie der raschen, oft gar über Nacht erfolgenden radikalen Umwälzung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse im Dreischritt: Drastische Einschnitte in Sozialausgaben, Privatisierung aller staatlichen Unternehmen und Deregulierung der Märkte, begleitet von einer Politik autoritärer Regime, die vor Folter und Menschenraub nicht zurückschrecken. Das alles unter dem Deckmantel der Demokratisierung, obwohl in Wirklichkeit der korporatistische Staat entstanden ist, in dem wirtschaftliche Elite und politische Klasse einander zuarbeiten. Ein ausgehöhlter Staat, der nicht nur aller Funktionen beraubt ist, weil sie privatisiert wurden, sondern auch über deren Ausübung keine Kontrolle mehr besitzt. Dieser Prozess erfasst auch uns (Sarkozy!), in den USA zeigt er schon seine bittere Realität.
Es ist das Verdienst von Naomi Klein und ihrem Rechercheteam, eine Unmenge von Zahlen und Fakten zusammengetragen zu haben und daraus einen Zusammenhang herzustellen, der schlagend ist und sich noch dazu wie ein Krimi liest. Ein Krimi schon deshalb, weil der Kreis der Milton-Friedman’schen „Umsetzer“ erstaunlich überschaubar ist und sich auch in den personellen Kontinuitäten eine Geschichte des Machterhalts abbildet. Der Feind bekommt hier einen Namen, ob dieser nun ein Firmenname ist oder der einer Privatperson. Und doch ist es Systemkritik, die Naomi Klein betreiben möchte, wobei sie mehr an der Anwendung einer Theorie interessiert ist als an der Theorie selbst, deren Gefährlichkeit allerdings gerade darin besteht, nur reine (Wirtschafts-)Lehre sein zu wollen, reines Zahlenspiel.
Natürlich wird hier auch die Sehnsucht nach dem „bigger picture“ bedient. Dafür sind weniger tiefgehende ökonomische Analysen als die erwähnten Analogien verantwortlich. Ob sie in der Zuspitzung aufgehen, mag dahingestellt sein, klar ist, dass die überwältigende Faktenlage eine deutliche Sprache spricht. Diese so auf einen schlagenden Nenner zu bringen, der sich noch dazu spannend liest, kann man der Autorin schwer vorwerfen, mehr noch, ich halte dies Buch für außerordentlich nützlich.
Zudem diente und dient Folter der Durchsetzung privatwirtschaftlicher Interessen, und neben den unzähligen sich festzurrenden Verschlingungen des Katastrophischen und Kapitalistischen – zum Beispiel religiöser Natur oder ganz einfach über den Sicherheitsapparat –, benutzen die erwähnten Akteure sogar selbst ganz offen diese Analogien, was eigentlich auch schon das Unheimlichste an diesem Buch ist. Denn hier wird nicht die Geschichte eines Betrugs, quasi einer geheimen Mafiakorruption hinter unserem Rücken, erzählt, nein, der Raub vollzieht sich direkt vor unseren Augen, oft mit der Billigung der Mehrheit. Dazu passt auch die alles krönende Absurdität, dass diejenigen Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Verhinderung von Krisen geschaffen wurden, die Weltbank und der IWF, Antriebskräfte dieser gewaltigen Krisenproduktionsmaschine sind, begleitet von einem Gutteil der humanitären Hilfe großer NGOs.
Auf was das Ganze hinsteuert? Die Aussichten sind düster: eine Welt, aufgeteilt nach dem Muster von Bagdad, in grüne und rote Zonen, Gefängnisbereiche für die prekarisierten Arbeiter und Luxussicherheitszonen für die Reichen. Ein Bild, bekannt aus Science-Fiction-Filmen, die, wie wir wissen, kein gutes Ende für uns bereithalten. Dass Naomi Klein uns dennoch nicht entmutigt entlässt, mag man gleichermaßen dem Hang zur Heldenerzählung als auch ihrer politischen Agitationsfreude zurechnen. Ihr hoffnungsvoller Ausblick führt uns zuerst in Richtung Lateinamerika mit seinen Versuchen, an jenen dritten Weg anzuknüpfen, der mit den Rechtsputschen der 70er Jahre abgeschnitten wurde, und zeigt danach gelingenden Widerstand im Libanon und in China. Die drängende Zuversicht der Autorin gilt einem demokratischen Sozialismus. Und so ist es nur folgerichtig, dass dieses Buch mehr sein will als „nur“ ein Buch, wie die Website (www.naomiklein.org) verrät, die sogar einen „Kurzfilm zum Buch“ bereithält. Eine perfekte PR-Strategie? Gut so, sage ich, denn ich wünsche ihm viele Leser.
Die Autorin ist Schriftstellerin und lebt in Berlin.
– Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophenkapitalismus. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 560 Seiten, 22,90 Euro.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 17.09.2007)
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