Robert Fisk
Streubomben über Babylon
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KRIEGSVERBRECHENDer Vorwurf, den Amerikaner
und Briten gegen den Irak erheben, richtet sich gegen
sie selbst
Die Wunden sind schrecklich und tief. Scharlachrote Flecken auf
dem Rücken, auf den Oberschenkeln und im Gesicht. Die Splitter
der Streubomben sind mehrere Zentimeter tief in den Körper
eingedrungen. Die Stationen des Lehrkrankenhauses von Hillah
liefern den Beweis, das etwas Illegales, etwas außerhalb der
Genfer Konvention, in den Dörfern geschah, die in der Nähe jener
Stadt liegen, die unter dem Namen Babylon seit Alters her
bekannt ist. Die wehklagenden Kinder, die jungen Frauen mit
Wunden am Oberkörper und an den Beinen und die zehn
Patienten, die Operationen am Kopf überstehen mussten,
sprechen über die Zeit, als Sprengsätze wie Pampelmusen vom
Himmel fielen.
Das sind eindeutig die Folgen von Streubomben, sagen die
Ärzte - und die Reste der Luftangriffe vom 30. März, die in den
Dörfern Nadr, Djifil, Akramin, Mahawil, Mohandesin und Hail
Askeri zu sehen sind, geben ihnen Recht. Waren es
amerikanische oder britische Flugzeuge, die diese Dörfer mit
einer der tödlichsten Waffen moderner Kriegführung
überschütteten? Die 61 Toten können uns das nicht mehr sagen.
Auch nicht die Überlebenden, die in vielen Fällen in ihren
Häusern saßen, als hoch über ihren Dörfern sich weiße Kanister
öffneten und Tausende kleiner Bomben nieder regnen ließen, die
dann in der Luft explodierten, deren Splitter durch die Fenster in
die Gebäude schossen oder von den Wänden zurück prallten.
Rahed Hakem erinnert sich, dass es etwa 10 Uhr 30 war, als sie
in ihrem Haus in Nadr saß, »die Stimme der Explosionen« hörte,
nach draußen schaute und sah, dass es »Feuer aus dem Himmel
regnete«. Mohamed Moussa beschreibt »kleine Behälter«, die
vom Himmel fielen und sich dann öffneten. »Die Sprengsätze
fielen wie kleine Grapefruits«, sagte er, »soweit sie nicht
explodiert waren und man sie dann berührte, gingen sie sofort
hoch. Sie explodierten in der Luft und am Boden, und einige, die
nicht explodiert waren, befinden sich noch in den Häusern.«
Karima Mizler hatte bemerkt, dass an den kleinen Behältern eine
Art Draht befestigt war - möglicherweise war das die Vorrichtung,
die dafür sorgt, dass sie aufspringen und kleine Sprengsätze
freigeben. Einige Opfer starben sofort, vor allem Frauen und
Kinder, deren Überreste in einem kleinen Leichenhaus hinter
dem Krankenhaus von Hillah aufgebahrt wurden. Mehr als 200
Verletzte hatte das Lehrkrankenhaus zu versorgen. Die 61
Getöteten waren entweder bereits tot zum Krankenhaus gebracht
worden oder verstarben dort während oder nach einer Operation.
Viele andere sind vermutlich in ihren Heimatdörfern begraben
worden - mindestens 80 Prozent, so sagen die Ärzte, waren
Zivilisten.
Offenbar waren in der Nähe der Dörfer auch Soldaten aktiv.
Hinter dem Krankenhaus fand ich einen khakifarbenen
Militärgürtel und einen Kampfanzug. Die Männer in den Dörfern
können natürlich auch Soldaten gewesen sein. Die Überlebenden
allerdings bestehen darauf, dass es in der Nähe ihrer Häuser
keine militärischen Anlagen gegeben habe. Ob irgendwo,
möglicherweise entlang einer Straße nach Bagdad, ein Panzer
oder ein Raketenwerfer stationiert war, ist im Nachhinein kaum
herauszufinden. Aber die Genfer Konvention verlangt den Schutz
von Zivilpersonen selbst dann, wenn sie sich in der Nähe von
Streitkräften befinden. Der Einsatz von Streubomben in diesen
Dörfern verletzt internationales Recht selbst dann, wenn sie sich
gegen militärische Ziele richteten.
Der 27-jährige Asil Yamin hat schreckliche, kreisrunde Wunden in
seinem Rücken. Die fünfjährige Zaman Abbais wurde am Bein
getroffen und die 48-jährige Samira Abdul-Hamza in den Augen,
der Brust und den Beinen. Ihr Sohn Haidar, ein 32-jähriger
Soldat, sagt, dass die Behälter, die zum Boden fielen, weiß
aussahen, mit roten und grünen Markierungen. »Nachdem sich
die Behälter geöffnet hatten, kamen die Geschosse wie Granaten
in die Häuser geflogen.«
Herzzerreißend ist das einzige Wort, um die zehnjährige Maryam
Nasr und ihre fünfjährige Schwester Hoda zu beschreiben.
Maryam hat einen Verband über ihrem rechten Auge. Ein Splitter
steckt noch in ihrem Kopf. Wunden hat sie auch am Bauch und an
den Oberschenkeln. Dass Hoda, die neben dem Bett ihrer
Schwester stand, auch verletzt war, bemerkte ich erst, als ihre
Mutter vorsichtig die Halsbinde des Mädchens und ihre langen
Haare anhob, um mir eine tiefe Wunde an der rechten Seite ihres
Kopfes zu zeigen. Die Wunde, unmittelbar oberhalb des Ohres,
blutete noch etwas. Die Mutter der beiden Mädchen beschrieb,
dass sie sich innerhalb des Hauses befand, als sie eine
Explosion hörte und dann ihre Töchter blutüberströmt in der Nähe
der Haustür liegen sah. Als ich die beiden Mädchen im
Krankenhaus anschaute, versuchten sie trotz ihrer Schmerzen zu
lächeln, um ihre Tapferkeit zu demonstrieren.
Selbstverständlich waren die irakischen Behörden all zu gern
bereit, uns Journalisten Zugang zu diesen Patienten zu
verschaffen. Um aber keine Missverständnisse aufkommen zu
lassen: Das, was uns die Kinder und ihre Eltern erzählten, war
ganz offensichtlich die Wahrheit. Wie sollten auch die Iraker die
Szenerie in dem Dorf Nadr, wo noch überall die Spuren von
Splitterbomben zu sehen waren, manipuliert haben? Ein Team
des Fernsehsenders Sky Television hat es sogar geschafft,
einen Haufen von Splittern mit nach Bagdad zu bringen, kleine
Metallkugeln, die menschliche Körper durchschlagen sollten. Sie
sahen fast aus wie Süßigkeiten in einer silbrig schimmernden
Umhüllung.
Der stellvertretende Chef des Krankenhauses und einer seiner
Ärzte erzählten uns später, dass es im Umkreis von Hillah zu
militärischen Aktionen gekommen war. So habe etwa ein
Apache-Hubschrauber Spezialtruppen auf der Straße nach
Kerbala absetzen wollen. Eine dieser Operationen sei offenbar
schief gelaufen, weil es zu einer Gegenreaktion irakischer Milizen
kam. Kurze Zeit später begannen die Angriffe mit Streubomben,
obwohl die Dörfer, die ins Visier genommen wurden, von dieser
Straße weit entfernt waren.
Es ist nicht einfach, den Offiziellen des Irak zuzuhören, wenn sie
den Gebrauch illegaler Waffen verdammen. Schließlich hat die
irakische Luftwaffe in den achtziger Jahren Giftgas gegen die
iranische Armee und gegen kurdische Dörfer eingesetzt.
Genauso unverzeihlich ist aber auch das, was in den Dörfern
nahe Babylon geschah. Kriegsverbrechen - der Vorwurf, den
Amerikaner und Briten gegen den Irak erheben, richtet sich
gegen sie selbst.
Übersetzung aus dem Englischen: Hans Thie
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