09 21.02.2003
Gerhard Schoenberner Im Geleitzug Start Service Recherche ANMERKUNGEN ZUR IRAK-DEBATTE Auch Kriegsgegner folgen mit ihren Argumenten vielfach der amerikanischen Kriegslogik Das erste Opfer eines Krieges sei stets die Wahrheit, heißt es. Und das gilt, wie man weiß, auch von Kriegen, die geplant werden. Um die Meinungshoheit zu erobern, reicht es aber nicht, die Wahrheit durch politische Demagogie und gezielte Desinformation zu bekämpfen. Ebenso wichtig ist es, die Gesetze der Logik außer Kraft zu setzen. Wie weit das inzwischen bereits gelungen ist, zeigt sich daran, dass selbst Kritiker und Gegner des geplanten Irak-Krieges die von dessen Befürwortern etablierten Prämissen und Schlussfolgerungen bereits übernommen haben. Obwohl inzwischen bekannt ist, dass die Kriegsplanung der USA den Irak und weitere Staaten (wie schon Afghanistan) längst vor dem 11. September und unabhängig davon im Zuge ihrer imperialen Globalstrategie ins Visier genommen hatten, stellt der offizielle Diskurs den Glaubenssatz nicht in Frage, dass dieses ominöse Datum nicht nur der Anlass, sondern die eigentliche Ursache für die seither offen vertretene neue Politik darstellt. Dabei liefert der von den USA ohne Absprache mit den Verbündeten vollzogene Zielwechsel von der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum Krieg gegen den Irak, der trotz gegenteiliger Behauptungen eine Änderung der Geschäftsgrundlage darstellt, einen schlagenden Gegenbeweis. Obwohl jeder weiß, dass die USA sich nur widerwillig dazu bequemt haben, Saddam und der UNO eine letzte Chance zu geben, bevor sie den von ihnen beabsichtigten Krieg mit oder ohne UNO-Zustimmung beginnen, und obwohl Washington diese Absicht durch ständig neue Verlautbarungen völlig unmissverständlich erklärt, gilt es in Teilen der europäischen Öffentlichkeit und Politik nach wie vor als ungeheuerliche Unterstellung, in der vor aller Augen stattfindenden Kriegsvorbereitung etwas anderes zu sehen als eine »Drohkulisse«, deren Ziel es ist, eine friedliche Lösung zu erreichen. Obwohl über 90 Prozent der irakischen Waffenarsenale unter Aufsicht der früheren Inspektoren zerstört wurden, gilt es ebenso als ausgemacht, dass etwaige Waffenfunde bereits ein ausreichender Grund wären, einen Angriffskrieg zu beginnen. Obwohl es nicht die geringsten Anzeichen und auch keine erkennbaren Motive dafür gibt, dass der Irak plötzlich, im Jahr 2003, beabsichtigt, die Türkei anzugreifen, gilt ihre akute Bedrohung als feststehende Tatsache. Dass sie nur gegeben ist, wenn die USA ihren Angriffskrieg beginnen und falls die Türkei dabei Hilfestellung leistet, sagt niemand. Dass also Artikel 4 des Bündnisvertrages der NATO, auf den sich Ankara erst auf amerikanisches Anraten berufen hat, in diesem Falle keine Anwendung finden kann, wird nicht diskutiert. Dass es die USA waren, die Saddam Hussein zu chemischen wie biologischen Kampfstoffen verhalfen und deren Anwendung im Krieg gegen Iran billigten, gegen die kurdische Minderheit zumindest tolerierten, und dass sie gegen die brutale polizeistaatliche Repression des Regimes im Irak so wenig protestiert haben wie in zahllosen anderen verbündeten Diktaturen, ist außerhalb der USA vielfach kein Thema, selbst wenn der US-Präsident das irakische Regime heute ausgerechnet in diesen Punkten anklagt, um dessen Gefährlichkeit zu beweisen. Dass die Bundesregierung einen Krieg zum gegenwärtigen Zeitpunkt anfangs nur ablehnte, weil dadurch der Kampf gegen den internationalen Terrorismus gefährdet werde, die politischen Folgerisiken unabsehbar seien und kein Plan für eine Nachkriegsordnung vorliege, war ein Ausdruck dafür, dass auch sie partiell innerhalb der immanenten Logik der US-Politik dachte. Dennoch bleiben diese Argumente gegen den Krieg politisch richtig, unabhängig davon, was die Inspekteure herausfinden und die UNO beschließt. Gleiches gilt auch für jene Argumente, die sich auf moralische und humanitäre Bedenken beziehen, ebenso wie die rechtlichen Einwände, dass ein Präventivkrieg das Völkerrecht aushebeln und eine Beteiligung Deutschlands einen Bruch unserer Verfassung und des 2-plus-4-Vertrages darstellen würde. Insofern bleibt die Vorab-Festlegung des Kanzlers eine folgerichtige Entscheidung.
mail an die Redaktion nach oben
Impressum - Archiv & Recherche - Abonnement
|