Da denke ich unwillkürlich an Oma. Oma Waltraud. Sie kommt aus Ostpreußen und hat einen schwierigen Charakter. Außerdem hört sie schwer. Etwas, das ich von ihr geerbt habe: die schlechten Ohren und das Weiche Zeug dazwischen.
Wenn sie zum Arzt geht, braucht sie ihre Krankenkassenkarte. Sie holt sich allerlei Überweisungen. Meist geht es um die Ohren.
Dabei hört sie Sachen, die sie nicht hören soll. Weil ich das weiß, schreie ich nicht, sondern spreche deutlich. Ich wende ihr mein Gesicht zu, damit sie zusätzlich von meinen Lippen lesen kann. So schone ich meinen Kehlkopf.
Sie hat gewisse Eigenschaften, die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung wahnsinnig machen. Ich kann mich entsinnen, dass sie mich mit einer ihrer Statements getroffen hat. Nach einem Date mit Oma beklage ich mich bei Vati. Vati hasst Oma, weil sie seiner Meinung nach keine Probleme hat und nur dummes Zeug labert.
Vati ist das Gegengift zur Oma. Ich brauche dieses Gegengift, um Oma mögen zu können. Dank Gegengift kann ich weitaus größere Dosen Oma verkraften als andere Verwandte.
Ich denke, ich bin ihr sehr ähnlich und verfüge über diese gewisse dümmliche Penetranz, die bei heimtückischer Intelligenz Menschen klein kriegen kann wie ein altertümliche Kaffeemühle!
Ich möchte ihren narzisstischen Schutzwall. An dem beißen sich alle die Zähne aus. Andererseits bewahrt dieser Schutzwall vor Kontakt zur wirklichen Welt. Und er macht einsam: zwar erzählt sie immer die dollsten Gerüchte, aber dadurch, dass sie nix hört, versteht sie die anderen alten Leute auch kaum. Den Rest erledigt ihre Phantasie. Die Abenteuerlichsten Geschichten haut sie raus und ist felsenfest vom Wahrheitsgehalt irrer Strorys überzeugt.
Dabei ist sie helle! Diese Helligkeit dreht sich nur um sie. Sie kann sich unglaublich doof stellen, um andere zu manipulieren und zu nötigen. Andererseits löst sie recht schwierige Aufgaben wie das Programmieren eines Videorecorders. Ich merke gerade, dass ich ihr so weit trauen sollte, wie mir selbst.
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