Reinhard Mohr in DER SPIEGEL 21/1999 über Milosevic und den Kosovo-Konflikt:
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In der Bundesrepublik verursacht der Streit um Meinung und Moral hier und da geistig-moralische Kollateralschäden. Nicht nur bei den Grünen im Saale auch auf den Straßen, in den Kneipen und Wohnzimmern der Republik steigern sich manche Kombattanten vor allem deshalb in Haßtiraden hinein, weil sie auf der ethisch vermeintlich sicheren Seite stehen wollen. All die »Mörder, Mörder!«-Rufe gegen die »Kriegsherren« Schröder, Scharping und Fischer, die Häme und der ganze Unflat, der seit Wochen über ihnen ausgegossen wird, verweisen nicht zuletzt auf den massiven Abwehr- und Abgrenzungsbedarf all derer, die um jeden Preis eine weiße Weste behalten wollen.
Mit jedem Farbbeutel, den sie auf »Kriegstreiber« werfen, mit jedem Fußtritt gegen die »Nato-Verbrecher« und jeder Invektive unterhalb unterhalb der Gürtellinie, die sie bei anderen umgehend als »faschistoid« brandmarken würden, waschen sie sich rein von aller Schuld. In den Kreuzberger Kneipen, so wird es dereinst, wie Daniel Cohn-Bendit prophezeite, in den alternativen Geschichtsbüchern stehen, war man jedenfalls immer schon und von Anfang an dagegen. Daß Ohnmacht moralisch wertvoller sei als Macht (wenn man sie nicht gleich selbst in den Händen hält), das ist der Subtext dieser Haltung. Sie führt unmittelbar dazu - auch das eine intellektuelle Tradition des 20. Jahrhunderts -, die Unterschiede von Machtausübung überhaupt einzuebnen. Demokratie oder Diktatur, Pressefreiheit oder Zensur - alles irgendwie einerlei unter der Herrschaft des internationalen Kapitals.
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