Im Flur des Krankenhauses, wo sich hinter einer der Türen Konrad einer Knochendichtemessung unterziehen lassen musste, hingen die üblichen gerahmten Kunstdrucke: Auf Kanonisiertheit bei gleichzeitiger positiver Ausstrahlung setzend, keine flämisch–anonyme Beweinung Christi, keine aufgeblasenen Computerscans von Katharina Sieverding, kein Nitsch–Kakapupa, vielmehr die üblichen gesichtslosen Mackefrauen, heidi, der Aquarell–Malkurs, verdrehte Marc–Pferde, ein kreuzlangweiliger Schlemmer hatte sich auch darunter verirrt, ich schritt die Reihen übellaunig ab wie ein unausgeschlafener Unteroffizier und plötzlich hing es da und traf mich tief: Ein Bild van Goghs, im Vordergrund drei lavendelblaue Kopfweiden, der Blick des Malers ging von einer Art Damm auf eine lavendelblaue Stadt auf einer Anhöhe, es mag Arles sein, dazwischen Obstbaumwiesen, zwei Äcker, ein einfarbig lavendelblaues Strichmännchen, sofort als hackeschwingender Bauer zu erkennen, lockert seit über hundert Jahren den Boden - wenig Vincentgelb, fast alles dominiert durch diese schöne Blau, und es gibt nur wenige Blautöne, die den Hype der 80er und 90er überlebt haben, als selbst Kognakschwenker (!) von Leonardo in Psychoblau gehalten waren, ich kann es nicht mehr sehen, aber das? Das ganze droht, eine kitschige Note zu bekommen, das wird, wenn ich an die auf dem Heimweg ersonnene Schlußcoda denken, alles noch viel sentimentaller, aber trotzdem, das Bild sog mich auf, hielt mich fest, durchgoß mich. Van Gogh, das waren in der Buchhandlung diese erschwinglichen Bildbände für jedermann, die sich irgendwelche Schußnichtgehörthaber zum representen mitnahmen, 29 Mark achtzig, beehren Sie uns bald wieder, nein, das habe ich nie gesagt, hätte es vermutlich auch erst recht nicht zu einem Vincentkäufer gesagt, doch diese ironisch–zersetzende Distanz zerbröselte wie ein osteoporöser Knochen vor drei blauen Weiden. Und alles mit diesen so akkuraten und doch nervösen Kleinstrichen, war das der Absinth? Irgendein ICD-10relevanter Formenkreis? Einfach nur Genie und Technik? Ich hätte niederknien können. Immer wieder ging ich den Gang auf und ab, dachte mir grimmige, blastertaugliche Sottisen zum blauen Reiter aus, halbherzig meinen Zorn, der eigentlich nur eine große Müdigkeit ist, nährend, um ihn dann vor den drei blauen Weiden wieder verrauchen zu sehen. Und der Mann soll sein Lebtag nur ein Bild verkauft haben? Was ist das für eine Welt? Bei Musik werden alle schwach, den letzten Scheiß kann man komponieren, Meyerbeer, Sido, Herb Alpert, Grönemeyer, endlos die Liste, von den Kleinstmeistern ganz zu schweigen, Schlagersternchen, die ihre marktgängig komponierten Possenstückchen talentfrei ins Mikro hauchen um dann mittels heavy rotation in die Charts gedroppt zu werden, reissue, repackage, revalue, sadly, this was your life... Und van Gogh? Wie muss der sich gefühlt haben, jeder halbwegs begabte Mensch merkt doch, was er kann, außer vielleicht Bruckner, dem Spast, das ist doch wirklich zum sich ein Ohr abschneiden. Aber ach, Fortuna ist eine wankelmütige Biatch, kaum biste oben, biste wieder unten, manche freilich müssen drunten sterben, bleiben immer unterm Rad, da will ich mich mal nicht beschweren. Und trotzdem, dieses Bild gerade dort, unter all dem Lysolgeruch, diesen ungesunden JogginganzugträgerInnen, es hatte etwas trauriges, the bear I love in nichtmal zwanzig Jahren zum halben Pflegefall mutiert, Bach–Werkverzeichnis 25 »Es ist nichts gesundes an meinem Leib« an dieser Stelle bitte einspielen, wie-doch-der-Mensch-so-rasch-verwesen-kann, das dann aber bitte unter lavendelblauen Weiden, und ich bin draußen.
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