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mcnep schrieb am 15.12. 2002 um 18:34:23 Uhr über

Knecht

"Ich habe gesehen, daß ein Knecht einem anderen einen Antrag machte. Das geschieht zuweilen. Die Schöpfung ist nicht empfindlich wie die menschliche Moral. Es gibt Stunden, in denen die Natur kein Zögern kennt. Die Jahreszeit? Ich glaube, es war Herbst. Herbst oder Frühling. Ein Knecht pflügte ein langes Feld, das sich über einen Hügel spannte. Im Osten grenzte es einem Gehölz an. Man sah die entblätterten Kronen von Haselgebüsch und hohen Pappeln, in deren Geäst Krähennester als schwarze Ballen hingen. Zwei schwere Pferde warfen die braunen duftenden Furchen auf. Ein junger Knecht stemmte die Arme in den Griffen des Pfluges; die Zügelleine hatte er er sich über den Nacken gelegt. Die Sonne schien nicht; doch die Luft war warm und still. Auf seinem Wege von Westen nach Osten blieb er, nachdem er ein halbes hundert Meter einer neuen Furche umgebrochen hatte, stehen, beklopfte einem der Pferde die dampfende Kruppe. Dann wandte er sich an einen zweiten, ein wenig jüngeren Knecht, der ganz in seiner Nähe bloßgelegte Steine aufrichtete, und machte eine nicht mißzuverstehende Attitude. Dabei lachte er. Es war ein fröhliches Lachen - kein hintergründiges, unflätiges. Das Gesicht des zweiten konnte ich nicht erkennen. Aber es drückte sicherlich ein Einverständnis aus, denn der Bursche näherte sich dem Pflüger. Erst sehr spät gewahrte mich dieser. Sein Lachen wurde durch meine Gegenwart nicht ausgelöscht. Aber es machte mich auch nicht zu Mitschuldigen. Es war ganz rein. Die Pferde zogen die Furche weiter. Der jüngere Knecht folgte dem Gespann über den Hügel, hinter dem Pferde und Männer verschwanden. Im Antlitz des jungen Pflügers habe ich die Freude gesehen, das seltene Geschenk. Allen wird das Herz und seine Freude aus der Brust gerissen werden. Auch diesem.
Sie schaufeln den Mist aus den Ställen, sie pflügen die Äcker, sie bringen das Korn in den Boden, sie eggen, behacken die Rüben, ernten. Ihr Tagewerk ist harte ununterbrochene Arbeit. Man verlangt, daß sie ihren Körper für geringen Lohn hingeben, daß er in ein paar Jahrzehnten verbraucht werde. Damit die Menschen Nahrung haben. Ich finde keinen Makel an ihren Freuden, welcher Art sie auch sein mögen. Sie trinken, sie tanzen, daß der Schweiß von ihnen rinnt, sie gehen zu den Mädchen, sie sind unbedenklich. Ist es nicht merkwürdig, daß kein Schriftsteller von ihnen berichtet? Von ihnen und den unvergleichlichen Pferden? Und wenn es doch einmal geschieht, stehen Lügen geschrieben - weil man die Gespanne und Burschen nicht kennt - weil man die Regeln des Lebens und des Gedeihens nicht kennt und vergißt, den Luder des Moralischen und Erbaulichen einzugraben. Der Mist ist nicht appetitlich, heißt es, indessen: »Vom Miste leben wir«, sagen die Knechte. Und die Milch ist köstlich wie der Wein."

Hans Henny Jahnn

Fluß ohne Ufer II, 611


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