Auf dem Rückweg ging er noch einmal durch das Schnellimbißrestaurant. Er traf dort Gerald, wie immer in seiner kurzen Lederjacke und nun dazu einen kurzen, viel zu kleinen Kinderschal lose um den Hals gebunden. Gerald saß allein an einem Tisch mitten unter den Jugendlichen, Schülern meistens, die nachmittags bis in den Abend hinein sich dort aufhielten in losen, lebhaften Gruppen, bunt durcheinander mit Mädchen, die Gerald hier ungestört lange beobachten konnte, wie sie aus dem etwas tiefer gelegenen Teil des Restaurants, wo das Büfett war, die drei, vier Treppenstufen hochkamen und vorbeigingen, sich zu den Jungen setzten. Er fragte sich, wie Gerald das sehen mochte, während er sich ihm gegenüber hinsetzte, müde und leer von dem ziellosen, unruhigen Umherschlendern. Die sieht doch gut aus, sagte Gerald. Er sah einem Mädchen nach, das hinunter zum Büfett ging, die Haare lang, sie hingen lose den Rücken herunter, der Rock kurz, dazu blaßgelbe Strümpfe, die leicht changierten. Er erkannte das Mädchen wieder. Er hatte es schon vorher in der Stadt gesehen und sagte, ja, gut, wirklich, sieht wirklich gut aus. Schlecht gelaunt, fragte Gerald. Nein, wieso. Ich dachte. Er sah ihn an und blickte dann wieder weiter runter in den tiefer gelegenen Teil. Mochte der denken. Sich weiter mit den Frauen beschäftigen, Frauen wie er, Gerald, die Mädchen nannte, Frauen, das ist eine gute Frau, sieh mal, und das ist eine gute Frau, alles Klitorisfrauen, bei denen jedes Gefühl weit vorne saß, die anderen waren naß, nasse Frauen waren Vaginafrauen, die er nicht mochte. Und er schien ständig damit beschäftigt zu sein, sie alle irgendwie so aufzuteilen, während er vor einem Glas Cola saß und sie beobachtete, zurückgelehnt auf dem Stuhl, sehr lässig, mit dem kleinen Kinderschal um den Hals gebunden, das Gesicht darüber schmal, etwas spröde und schorfig geworden die Haut, die Lippen dünn, ein altes Kindergesicht, dachte er, als er sich Gerald vorstellte, wie der hier schon länger so gesessen haben mochte, allein an einem Tisch mitten in diesem Lärm. Er dachte, ist der alt, achtundzwanzig, ein Greis, noch sehr jugendlich, aber alt, ein Greis, der sich nachmittags hierher setzte und immerzu Mädchen nachsah, Klitorisfrauen mit einem Gefühl vorn im Schlitz, jetzt, und jetzt wieder, während er einem anderen Mädchen zusah, das vom Büfett mit einem Glas Coca-Cola heraufkam und sich zu der Gruppe am Tisch gegenüber setzte. Der Rock zog sich weit die Schenkel hoch, so daß der verstärkte Strumpfrand zu sehen war, der sich an der Seite in einer Spitze zusammenzog. Gerald lachte. Und sonst? Nichts sonst. Schon den neuen Film gesehen? Welchen? Von Budd Boetticher. Ist gut, nicht. Gut.
Rolf Dieter Brinkmann: Keiner weiß mehr
rororo 1254 S. 66 ff.
|