Das was mich an der Chemie faszinierte war ihre Berechenbarkeit, ihr absolut zuverlässiges Funktionieren, das war kein Platz für das schöne Gerede der Geisteswissenschaften. Ich habe sogar, trotz der Überzeugung, das alle Geisteswissenschaften höherer Humbug sind, kurz davor mich lieber doch in Philosophie Deutsch und Geschichte einzuschreiben, aber nur aus dem Grund, das erstens meine Familie mit meinem Studium nicht klar kam, Antiatomkraft waren die, und ich redete mir das schön, das ich dann vielleicht besser kommunizieren könne mit der Weiblichkeit. Ich wollte wirklich nur Deutsch und solche Dinge studieren weil ich mir einbildete danach eloquenter zu sein. Die Chemie allerdings, die ist es dann geworden, weil ich dachte, mit einem solchen Abschluß werde ich in Südfrankreich eine Arbeit finden. Daher kam ja meine Freundin. Ich habe mich und meine Fähigkeiten damals überschätzt. Ich dachte, ein fertiger Chemiker, darum reißen die Leute sich. So wurde uns das jedenfalls vermittelt. Im Vergleich zu den meisten Mitstudierenden war ich durchaus im oberen Drittel was Erfindungskraft, Kenntnis und vor allem Abschätzen von Gefahren anging, da ich ja seit dem vierzehnten Lebensjahr ein Labor betrieben habe wo es zu nicht ganz ungefährlichen Unfällen kam die ich aber grandios meisterte. Ich erinnere zum Beispiel an die Herstellung von Kupfernitrat welches mir für das Farbigmachen von kleinen Leuchtkugelgemischen für meine selbstfabrizierten Papierraketen (Anregung von Jean Pütz, der damals noch jung war), benötigte. Zu dessen Herstellung hatte ich eine nicht unerhebliche Menge konzentrierte Salpetersäure, vielleicht hundert Milliliter, in einen Dreihundert Milliliter Erlenmeyerkolben verbracht und darauf eine richtig gute Handvoll Kupferspäne geschüttet. Anfangs tat sich wenig, ich erhitzte und dann schoß sekundenschnell ein grüner Schaum aus dem Kolben der sich auf den Tisch, eine lackierte Platte aus Holz auf auf zwei Böcken, und ein sehr giftiger brauner Rauch begann sich zu entwickeln. Da ich mit meinen damals vielleicht fünfzehn aber so belesen war zu wissen was dieser braune Rauch genau ist, war ich geistesgegenwärtig, zog mir den Kittel über den Kopf, atmete nicht mehr ein, rannte zum Dachfenster was ich weit aufriss, aus dem Speicherzimmer hinaus und verschloss die Tür, damit die Reaktion sich beruhigen konnte. ich werde nie den etwas später geäußerten Satz unseres damaligen Vermieters, für den Papa sehr viel gebaut und gefliest und gemauert hatte vergessen, der meinte, im Flur habe es etwas seltsam gerochen. Ich lief gleich hinaus auf die Straße des Tulpenweg Zwei von wo aus man das Dachfenster sehen konnte, und es drang sichtbar dieser braune Rauch hinaus. Mit nitrosen Gasen habe ich später nie mehr was zu tun gehabt, außer bei Höchst als ich dort Werkstudent war, allerdings in Konzentrationen die sogar ein Kind gefahrlos einatmen kann. Da habe ich Restgase die bei Produktionsprozessen anfallen per Gaschromatographie quantifiziert anhand von Eichkurven und Ausschneiden und wiegen des durch den Schreiber gezeichneten Peaks. So gab es eine ganze Menge die ich diesem Haufen anderer Bibis und Mädchen im Studium, das ja vornehmlich ein Handwerk ist, voraus hatte. Ich war immer für unkonventionelle Analysen. So habe ich zum Beispiel dem gesamten Anorganikpraktikum im zweiten Semester an einem heißen Tag einen freien Nachmittag verschafft, da jeder von der Assistenz im kleinen Zimmerchen einen Schluck irgendeiner bestimmten Salzlösung mit der großen Pipette in einem Meßkölbchen bekam dessen Salzgehalt er quantitativ zu bestimmen hatte, das ging mit Fällungsreaktionen Wiegen des getrockneten Niederschlags und etwas herumrechnen, Da ich mir die Entnahmeflaschen der Assistenz aber angeschaut hatte, sie standen ganz offen herum, erklärte ich den Anderen, und über die Hälfte hat sich meines Tricks bedient, das man einfach nur bis zum Eichstrich auffüllen müsse und durch Differenzrechnung die Menge an Salz sofort heraus habe da ja Normallösungen ausgegeben wurden. Natürlich hat der Assistent das irgendwie später mitgekriegt und hat zur Verhinderung meiner Methode dann seinen Schluck Salzlösung ins Kölbchen der Analysierenden und hat dann aber je noch einen Schluck destilliertes Wasser dazu geschüttet. Ein anderes Mal umging ich den langen Fällungsgang von Anionen und Kationen einer qualitativ zu analysierenden Mischung verschiedener trockener Salze indem ich mit der Pinzette kleine Häufchen der gleichen Kristallsorte herauspickte und die dann mittels Schmelzpunkt und Farbe oder Kristallform unter dem Mikroskop qualifizierte. Da war ich auch der Erste der aus dem Praktikum ging und alle Ergebnisse korrekt waren. Weil, so ein schönes Wetter draußen, und dann im stinkenden Labor, ....
Hätte vielleicht nur noch gefehlt, das man Kristalle auch durch Schmecken analysieren kann. Jedenfalls las ich, dass das bei Chemiker des alten Schlags noch so war. Von Kupfersulfat weiß ich, das es grausam metallisch bitter schmecken soll und sofort zum Kotzen anregt wenn man schafft einen Schluck davon zu trinken. Aber von Geschmacksproben hatte ich seit ich dem Vorbild Wilhelm Buschs Affen Fips folgte der in die Seife biss, und als recht kleines Kind aus genau jener Neugierde die Fips der Affe in mir geweckt hatte, einmal kurz an einer Seife leckte. Das war das erste und das letzte Mal das ich das tat und ich war spuckend froh, das ich nicht hineingebissen hatte. Ich spürte diesen ekligen Geschmack noch Stunden danach.
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