rletzlich zu sein. Und entsprechend ist Asylon' eine Freistatt und Zufluchtstätte - ein Ort also, der im heutigen Asyl natürlich noch mitldingt, in der Antike aber eine ganz besondere politische, rechtliche und soziale Prägung erfahren hatte.
Lienn ;%syion war in der griechischen Antike nicht nur jedes Heiligtum einschließlich seines Zubehörs an Altaren, Götterbildern und Kostbarkeiten. es waren dort nicht nur - zum Schutz gegen Feinde - Staatsschätze und Vermögenswerte untergebracht; es konnte darum nicht nur zum Zufluchtsort für Verfolgte und Bedrängte, sogar für Sklaven und Verbrecher werden; es war nicht nur ein Ort der prinzipiellen Unantastbarkeit. Es galt vielmehr umgekehrt, daß jeder, der diesen Ort der Unantastbarkeit verletzte - und sei es, daß man einen Verbrecher zur Bestrafung von dort hervorholte - sich selbst antastbar machte und einen Frevel beging, den die Gesetze, zumindest aber die Götter hart bestraften. Man könnte in diesem Asyl also das erkennen, was man heute einen rechtsfreien Raum nennt; aber es war in Wirklichkeit noch sehr viel mehr. Es war vor allem ein Ort der Aussetzung und Annullierung des Rechts; es war darum ein Raum, in dem es prinzipiell keinen Mißbrauch gab und in dem Gerechte und Ungerechte gleichermaßen Aufenthalt fanden; es war ein Ort, an dem man nicht durch das Gesetz, sondern bestenfalls per Gesetz vor den Gesetz geschätzt war; und das Asyl war demnach ein Aufenthalt, an dem sich nicht einfach verschiedene Sozialarten, Bürger, Unfreie, Kriminelle und Verfolgte versammelten, es war vielmehr ein Ort, an dem zunächst alle diese Markierungen aufgehoben waren, ein Ort der Demarkierung und Demarkation also, ein Ort der Abtrennung, eine Ortschaft, die nichts mit anderen Orten gemeinsam hat. So konnte man sich in späterer Zeit darüber beklagen, daß diese Asylstätten zu Sammelplätzen von liederlichem Gesindel', meuternden Sklaven und insolventen Schuldnern etwa geworden waren - wesentlich aber scheint mir hier vor allem folgendes zu sein: was sich im Asyl versammelte, war kein Volk, es waren keine durch Stand oder Gesetz markierte Individuen, sondern eine Art deterritorialisierter Menge und Masse. Folgende Merkmale dieses antiken Asyls würde ich hier also gerne fest-
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halten: Erstens ist es ein Ort, an dem man nicht belangt werden kann, es ist ein Ort ohne Belang und in dieser Hinsicht, was seine Lage in der Polis und in der Politik der polis betrifft, ein
Ato,2os, ein Nicht-Ort, ein Ort der Nicht- Zugehörigkeit: man nicht hing@hört; befindet sich hier, weil man dort, wo man ist,
es enthält zweitens nicht eine wie auch immer geordnete Versammlung von Bürgern oder Verbrechern. sondern eine unrnarIderte Ansammlung von Leuten, einen plethos der sich stets außerhalb des demos d.h. eines zur und für die Politik zugänglichen Volks befindet; und das Asyl ist darum drittens nicht zuletzt eine bedrohliche Grenze der Politik, des Rechts und der Institutionen - nicht von ungefähr bemühte man sich schon bald uni rechtliche Garantien, Definitionen und Beschränkungn für die Asylstätten. Dabei ist es nicht zu übersehen, daß es gerade von diesem Nicht-Ort aus durchaus Übergänge - wenn nicht sogar entscheidende Übergänge - zum Gemeinwesen gab. Dies zumindest läßt sich wiederum an einer Sage erkennen, an einer anderen römischen Sage, die durchaus eine gewisse Nähe
zur Sage des Menenius Agrippa besitzt. Es handelt sich hier um nn achdem Romulus den die Sage von der Entstehung Roms. De
Remu s erschlagen hatte und zur Gründung der Stadt geschrit
öffnete er auf dem Kapitoi wiederum ein heiliger Berg ten war.
Heimatlose und Land- ein Asyl für Vertriebene und Verfolgte,
flüchtige. aus denen dann das römische Vlk entstehen sollte. merkenswert, daß man sich nicht nur Nun erscheint. es be
immer wieder auf das bloß Sagenhafte dieser Geschichte berief. sondern daß man in dieser Erzählung auch einen signifikanten Widerstreit erkennen wollte: Konnte es möglich sein, daß am Anfang des großen Roms und am Anfang seines Rechts und seiner Institutionen ein gesetzloser Ort und Ort der Gesetzlosen bestand? Konnte es möglich sein, daß die römische Staatsgründung nicht auf einen geordneten verband, sondern auf zusamrnengelaufenes Gesindel", wie es bei Livius heißt, zurückging? Konnte es möglich sein, daß mit allen unterschieden, die die Gründung, die Politik, das Recht und der Staat machen, eine unterschiedlosigkeit einherging, ein sine discrimine', wie es ebenfalls bei Livius heißt? Es scheint jedenfalls. als ginge es in 129
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