Kennst du die lange Kastanienallee in unsere Stadt? Nein? Es ist eine Allee, wie sie sich in vielen österreichischen Städten entlang zieht. Links und rechts davon dehnen sich weite Grünflächen, die von kleinen glucksenden Bächlein durchzogen werden. Manchmal übermütig über Steine springend, dann wieder ruhig und träge, leise gurgelnd ihren Weg suchend. Der Weg besteht aus Sand und Kies und knirscht protestierend, wenn man entlang schlendert. Manchmal steht überschattet von den großen Kastanienbäumen der Allee eine kleine Bank, die einen einlädt zu verweilen und den alten Bäumen zuzuhören:
Viel haben diese alten Bäume gesehen und gehört. Manch verschämten Liebesschwur raschelnd kommentiert, klaglos sich die Beweise zaghafter erster Jugendliebe in die Rinde schnitzen lassen, sanft und beruhigend Kummer und Leid hinweggeflüstert.
Gerne sitze ich auch heute noch unter „meinem“ Baum und denke an die Zeit zurück, in der ich brav an Mutters Hand, geschützt durch ein warmes Wollmützchen und einen roten Wintermantel gegen die manchmal doch schon rauen Herbstwinde durch die Allee spazierte. Der Wind spielte mit den bunten, raschelnden Blättern Fangen und lockte auch mich mitzuspielen. Da gab es kein Halten und Mamas Hand konnte nur noch hilflos nachwinken, wenn ich so schnell meine kleinen Beine mich trugen den bunten Blättern hinterher jagte, mich übermütig gegen den Wind stemmte und mit ausgebreiteten Ärmchen jubelnd die bunte Pracht zu haschen suchte.
Wie lachte mein Kinderherz, wenn ich zwischen den leuchtend roten Blättern die herrlichen Kastanien fand. Groß und braun glänzend lagen sie in meinen kleinen Händen, kühl und glatt fühlten sie sich auf meinem erhitzten Gesichtchen an. In Windeseile füllten sich meine Taschen mit den vielen kleinen und großen Früchten des Herbstes.
Zuhause, vor dem brennenden Kamin, wurden daraus allerlei Tiere und Fabelwesen, die mich bis in meine Träume begleiteten. Da war das große Pferd, auf dem ich in den Kampf zog, um Siegfried bei seinem Kampf gegen den Drachen zu helfen und die böse Hexe, der ich keinen Kopf aufsetzte, weil man ja ohne Kopf nicht hexen kann – aber die schönste Kastanie lag lange auf meinem Schreibtisch und begleitete mich jahrelang durch meine Jugend. Sie lag nicht nur beruhigend in meiner Rocktasche bei schwierigen Prüfungen in der Schule, sondern auch wenn ich vor lauter Glück die Welt umarmen wollte. Zwar schrumpfte sie und verlor ihren Glanz, aber wenn sie in meiner Hand lag und meine Finger zärtlich darüber strichen, erinnerte sie mich noch lange an den Duft jenes Herbsttages, dessen vergängliche Schönheit kommende Winterstürme schon ahnen ließ.
Vielleicht war die Gewalt des Herbstwindes, der mir damals ins Gesichtchen blies, der erste Bote von kommenden Stürmen, die so manches Mal ihr Spiel mit mir trieben, mich zausten und vor sich her trieben und die Richtung bestimmten, in die ich zu gehen hatte, aber die Erinnerung an mein unbeschwertes Kinderlachen, an glückliche Kindertage erfüllen mich auch heute noch mit innerer Zufriedenheit und ich sehe mit Dankbarkeit den Kindern zu, wenn sie durch „meine Allee“ toben und ich ihnen bei ihrem unbeschwertem Spiel zusehe, ihr unbeschwertes Kinderlachen höre.
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