Christa Wolf hat unter diesem Titel ein Werk veröffentlicht, das aus drei Vorlesungen und einer Erzählung besteht.
Die ersten Vorlesungen beschreiben eine Reise, die in der Realität beginnt und mit dem Landeanflug auf das Unwirkliche weitergeht.
In der Flughafenhalle noch beschreibt sie eine Horde männlicher Kinder, die später ihre Entsprechung in den kindischen Männern auf Trojas Zinnen finden. Sie taucht, gesetzt in ein Flugzeug und beschäftigt mit Alltäglichem, nach und nach in eine Welt ein, die ihr fremd ist.
In Athen mischen sich Behördenwirklichkeit und Traum noch mehr, und auf Kreta drängt vollends die mythische Vergangenheit in den Vordergrund. Wissenschaftliche Fakten mischen sich mit Mutmaßungen.
Daheim in Metelen, noch angeregt durch die Möglichkeit eines weiblichen Mythos, wird sie selbst zu einer Beobachterin, einer Seherin, einer Anklägerin, der niemand Gehör schenkt. Sie reflekiert das Geschehen in höchsten Kreisen der NATO und des Warschauer Paktes, und sieht sich genötigt, Kassandrarufe zu unken.
Hier findet sie Anschluss an das Gegentück zu ihrer Rolle in der Wirklichkeit des kalten Krieges, der ebenso katastrophal war wie der sinnlose Kampf um Troja: sie assimiliert die Kassandra des Mythos, wird schließlich von ihr assimiliert.
Kassandras Universum - das, was Kassandra wissen konnte, verschmolz vor dem Hintergrund einer Ahnung des Weltuntergangs mit Wolfs eigener Lebenswelt.
Auch Wolfs Universum war vom Untergang bedroht, endgültiger Vernichtung eben. Sie wird zu einem unbedeutenden Rädchen in einem System, das sie nicht überblickt, zu einer Ruferin, der niemand Gehör schenkt. Und wie Kassandra muss sie mit ansehen, wie alles den Bach runter geht.
Typisch weibliche Regung: ich muss meinem Trotz als Prinzessin Ausdruck verleihn. Das nervt.
Abgesehen davon eröffnet die Autorin dem Leser Einblicke in die Figurenschmiede eines Romans. Nicht schlecht!
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