Einleitung
Bis heute hat der Shintô, die wohl ursprünglichste Religion Japans, kaum an Bedeutung verloren. So ließen z.B. die Präsidenten verschiedener großer Banken während der Rezession (=wirtschaftlicher Abschwung) 1992/93 die Glaubensgemeinschaft des Miwa-Schreines in Tokyo wieder aufleben, um die dortige Gottheit Ôkuninushi, die für das Wohl Japans sorgte, zu verehren. Weiterhin unterzogen sich im selben Jahr die Präsidenten der Mitsubishi einer Pilgerreise und einer Zeremonie, um einen Zustand der Reinheit, welcher für Erfolg notwendig war, zu erlangen. Ebenso sind Riten der Kaiserfamilie, wie Inthronisation oder Begräbnis, und des Staates, wie z.B. die Verehrung der Kriegstoten in einem Tôkyôter Schrein, Teil des Shintô und trotz der hochtechnologisierten Zeit sehr lebendig.
Was ist Shintô?
Das Wort shintô bezeichnet die Gesamtheit der religiösen Institutionen, Praktiken und Vorstellungen Japans bevor der Buddhismus das Land erreichte. Der Begriff wurde im 6. Jh. u.Z. geprägt und setzt sich aus folgenden Zeichen chinesischen Ursprungs zusammen: shin - chin. Shen = göttliches Wesen/ Natur/ unergründliche Kraft und dô bzw. tô - chin. tao = Weg/ Lehre. Schon an den verwendeten Zeichen lässt sich auch für Laien die Naturverbundenheit und -verehrung als eines der Charakteristika erkennen. Weitere Merkmale sind Animismus (Glaube an die Seele), Polytheismus (Vielgötterei), Tennô-kult (Kaiserverehrung) und Fruchtbarkeitskult, jedoch ist Shintô weit mehr. Er ist kein Gründerkult, d.h., er besitzt keinen Gründer oder Stifter (wie z.B. Mohammed, der den Islam begründete), somit auch keine offiziellen, heiligen Schriften oder ein Lehrsystem. Und doch ist er bis heute erhalten geblieben... Die grundlegende Werteorientierung der Japaner spiegelt sich im Shinto wieder, da dieser durch japanische religiöse, gesellschaftliche und kulturelle Denkweisen, Überzeugungen und Haltung seit den Anfängen stark geprägt worden ist, und lässt sie durch Bräuche und Praktiken fortleben. Auch heute noch ist er trotz, oder gerade wegen, seiner langen Geschichte eine sehr lebendige Religion, die grundsätzlich auf das Leben ausgerichtet ist. In vielen Schreinen, von denen jeder meist eine eigene erwürdige Tradition hat, bleiben die alten, meist lokal und regional sehr voneinander abweichenden Bräuche, erhalten. Diese Bräuche haben trotz ihrer großen Vielfalt eines gemeinsam: die Vorstellung des Vorhandenseins von kami (=göttlichen Wesen bzw. Kräften) und entstammen der frühgeschichtlichen Entstehungszeit.
Entwicklung
In der prähistorischen Zeit besiedelten verschiedene ethnische Gruppen, die unterschiedlich sozial und religiös geprägt waren, die japanischen Inseln. Während der Yayoi- Zeit (3. Jh. v.u.Z. bis 3. Jh. u.Z.) setzte eine Verschmelzung dieser Charakteristika ein, so dass man sich am gegen Ende dieser Periode als ein Volk mit gemeinsamer Kultur verstand. Die Gesellschaft beruhte auf einem Clan-system, bei dem jeder Clan eine eigene Clan-Gottheit in einem Schrein verehrte, die meist als der erste Vorfahr betrachtet wurde. Vergrößerte sich ein Clan sehr, wurden Zweigschreine eingerichtet und unterhalten. Wurde ein anderer Clan unterworfen, so wurde dieser mit dem eigenen Clan vereinigt und dessen Clangott als Begleitgottheit zugeordnet. Neben diesen Clangottheiten existierten andere geistige Kräfte oder Wesen, die kami gleichkamen.
Im 4. Jahrhundert gewann der Tennô-Clan die Vorherrschaft über die anderen und wurde zum bestimmenden Einfluss im kulturellen und mythischen Denken. Er bildete den großen Rahmen, in den sich alle anderen Clangottheiten und Clanreligionen einordneten, und dessen Mittelpunkt die göttliche Abstammung des Clans von der Sonnengöttin bildete. Im 8. Jahrhundert entstanden auf dieser Grundlage das Kojiki (= Berichte der alten Begebenheiten, 712) und die Nihonshoki (=Annalen Japans, 720), beide Kompilationen, d.h. Sammlungen, der Mythologie und Geschichte dieser Zeit.
Im folgenden wurde der Shintô durch die Geschichte immer wieder verändert und beeinflusst. Im 7. Jahrhundert schon wurde kaiserliche Erlasse verfasst, die die Vorschriften des Shintô sowie die Hierarchie der Priester festhielten. Im 10. Jahrhundert kompilierte ein Zeremonialkodex die Praktiken des Shintô (Engishiki). Weiterhin wurde er vom Buddhismus (schon ab dem 6. Jahrhundert) beeinflusst, sogar vermischt. Im 18. und 19. Jahrhundert lebte er durch die »Nationale Schule« (Kokugaku) wieder auf und erlangte im 19. Jahrhundert schließlich sein Vorrangstellung in Japan wieder. Die Meijiregierung nutzte zu dieser Zeit den Glauben, um ein nationales und kulturelles Bewusstsein zu schaffen und ein Gemeinwesen zu begründen, in dem der Kaiser im Mittelpunkt stand und die Einheit von Religion und Regierung repräsentierte. So wurde 1868 das Amt für Shintô-Angelegenheiten gegründet und die Trennung von Shintô und Buddhismus per Edikt festgelegt. Jeder Bürger musste sich als Mitglied des Shintô registrieren lassen und überhaupt wurden shintôistische Riten und Bräuche bevorzugt gefördert. Der Staatsshintô entstand, der entweder als nicht- oder überreligiöser Staatskult definiert wurde und Ethik sowie Patriotismus für Angehörige aller Religionen umfasste und verlangte. Die Schreine erhielten staatliche Unterstützung und die Priester waren praktisch Staatsangestellte. Von ca. 1894 bis 1945 hielt die Regierung den Shintô unter strenger Kontrolle und nutzte ihn, um die Menschen zu mobilisieren und Reich und Thron im Wohlstand zu halten.
Formen des Shintô
Im Verlaufe der Zeit entwickelten sich neben dem der Familie weitere verschiedene Formen:
Shintô des Tennô-Hauses
Schreinshintô
Sektenshintô
Volksshintô
(kôshitsu shintô)
(jinja shintô)
(kyôha shintô)
(minkan shintô)
Riten für die Seelen der Tennôvorfahren
verbunden mit Tradition des Kaiserhauses
in vier Palastschreinen
nicht öffentlich
ca 80% der Schreine Mitglied der Vereinigung der Shintô- Schreine,
Form des Shintô, dem die Mehrheit angehört
Probleme: Mangel an Geistlichen, Fehlen eines einheitlichen Systems
Messias- und Heilkulte
Begriff von Meiji-Regierung geprägt
entstanden in polit./soz./ wirtschaftl. Notlage
charismatische Persönlichkeiten, Schamanen, Propheten
umfasst alle Arten von Aberglaube, magisch-religiösen Praktiken, lokalen Bräuchen des Volkes
z.B. Vorstellungen von guten/ bösen kami, Unglückstage, Geomantik
in Familien-, Verwandschafts- kreis
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