Ula war ein wahres Mannweib.
Sie strotzte vor Kraft, war aber leider nicht immer Herr, äh, Dame ihrer Sinne. In dem kleinen Dorf wußte man bald nicht mehr, wohin mit der jungen Frau, die stänidg pöbelnd und randalierend durch die Straßen zog, und so beschloß der Ältestenrat, sie zu lebenslanger Strafarbeit im Kalkwerk vor den Toren der Stadt zu verurteilen.
Jeden Abend, wenn sie erschöpft in die Stadt zurückgeschlurft kam, stand immer eine Horde Kinder am Stadttor, um sie lärmend, aber doch mit respektvollem Abstand in Empfang zu nehmen. Bis zu ihrem Quartier im Armenviertel liefen sie hinter ihr her und riefen Sachen wie »Ula ist ein Mann, nur ohne Schniedel dran!« oder »Wer frißt den ganzen Tag nur Kalk? Kalk-Ula, Kalk-Ula! Und wer macht kleine Kinder kalt? Kalk-Ula, Kalk-Ula!«
Ja, nach dem Abendbrot verabredete sich die Meute immer, um Kalk-Ula vom Stadttor abzuholen.
Und auch, als die Kinderschar schon samt und sonders erwachsen war, so nannte man das Tor auf dem Weg zum Kalkwerk nur noch das 'Kalk-Ula-Tor'.
Und diesen Namen hat es bis heute behalten.
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