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Läuft ein Sandkorn durch die Wüste schrieb am 3.4. 2015 um 23:33:19 Uhr über

Judenwitze

Der jüdische Witz nimmt in der Weltliteratur eine Sonderstellung ein. Er ist tiefer, bitterer, schärfer, vollendeter, dichter, und man kann sagen, dichterischer als der Witz anderer Völker. Ein jüdischer Witz ist niemals Witz um des Witzes willen, immer enthält er eine religiöse, politische, soziale oder philosophische Kritik. Er ist faszinierend, denn er ist Volks- und Bildungswitz zugleich, jedem verständlich und doch voll tiefer Weisheit. Durch Jahrhunderte war der Witz die einzige und unentbehrliche Waffe des sonst waffen- und wehrlosen Volkes. Es gab - besonders in der Neuzeit - Situationen, die von den Juden seelisch und geistig überhaupt nur mit Hilfe ihres Witzes bewältigt werden konnten. So lässt sich behaupten: Der Witz der Juden ist identisch mit ihrem Mut, trotz allem weiterzuleben. Sigmund Freud vermochte zwar sein Lebtag keinen einzigen Patienten mit Hilfe seiner Psychoanalyse zu heilen, er erkannte aber mit genialer Hellsicht: »Der Witz ist die letzte Waffe des Wehrlosen.« Wenn von jüdischen Witzen die Rede ist, sind viele Menschen der Meinung, es handele sich dabei um Witze über Juden. In vielen dieser jüdischen Witze steckt etwas Spezifisches, das in Dimensionen führt, vor denen die Witze anderer Völker halt machen. Zwei Juden im Bahnabteil. Der eine stellt sich vor: »Gestatten Sie, Mandelbaum.« »Mandelbaum, Mandelbaum«, sagt sein Gegenüber nachdenklich. »Warten Sie, der Name kommt mir so bekannt vor... Sagen Sie, sind Sie nicht so ein kleiner Dicker mit einer Glatze und einem roten Spitzbärtchen?«

Der Spott gebührt aber demjenigen, der glaubt, immer nur Schlauheiten kombinieren zu müssen.

»Moische! Wohin fährst du?« »Nach Wien. Ich will mich ein paar Tage erholen.« »Moische, was soll das? Immer wenn du sagst, du fährst nach Wien, fährst du in Wahrheit nach Prag, um Geschäfte zu machen. Zufällig weiß ich aber, dass du heute wirklich nach Wien fährst. Wozu lügst du also

Die nächste Paradoxie steckt im Verhältnis der Größenordnungen, die einen Sachverhalt in sein Gegenteil umschlagen lassen können: Wenn ein Kaufmann einer Bank eine Million schuldet, hat diese ihn in der Hand; wenn er dagegen 100 Millionen schuldet, hat er die Bank in seiner Hand...
Den Gipfel aber nehmen die Witze ein, die jenseits aller Regeln und Gesetze das Heilige aufleuchten lassen, und aus denen man über Glaube und Liebe mehr erfahren kann als aus allen theologischen Bibliotheken. »Unser Rabbi spricht mit Gott selbst.« »Das ist doch nicht wahr
»Doch. Würde Gott etwa mit einem Lügner sprechen-
Sagt dieser Witz nicht alles über das Phänomen des Glaubens aus?
Und wirklich sind diese Witze zahlreicher, schlagender und tiefsinniger als die Witze der anderen Völker. Sie weisen ganz andere Variationen auf, als etwa die Schottenwitze. Sie verspotten nur selten einzelne komische Eigenschaften des Menschen, sondern stellen oft die gesamte menschliche Situation mit Schmerz und Bitterkeit in Frage. Natürlich gibt es daneben auch eine ganze Reihe einfach pointierter Scherze, die nicht die gesamte Tragweite der hier aufgezählten Dimensionen in sich bergen. Denn ist jemand gezwungen, ein Instrument dauernd zu gebrauchen, so kommt er leicht dazu, es fallweise auch zu missbrauchen. Der waffengewohnte Polizist greift manches Mal zu rasch zur Pistole, der witzgewohnte Jude verfällt auf witzige Formulierungen auch dann, wenn die Situation es keineswegs erfordert. Aus dieser Haltung heraus entstanden auch eine Menge Witze ohne viel moralischen Hintergrund.
Schüler zum Melamed: »Wie entsteht eigentlich der Regen?« »Weißt du, die Wolken sind eine Art von riesigen nassen Schwämmen. Wenn sie nun bei Wind aneinander stoßen, dann ist es, wie wenn Schwämme ausgepresst werden, und dann kommt das Wasser heraus.« »Wirklich? Und könnt Ihr es beweisen?« »Nu - du siehst doch: es regnet

Den größten Raum nehmen wohl Witze aus dem kaufmännischen Milieu ein. Den Juden waren ja Landerwerb und der Zugang zu den meisten Zünften über Jahrhunderte untersagt. Daher beschränkte sich ihr Broterwerb auf kaufmännische
Tätigkeiten und das Verleihen von Geld.
Abgesehen von den Witzen, die die Naivität der chassidischen Wunderrabbis und deren Anhänger aufs Korn nehmen, stoßt man immer wieder auf Witze, die die rabbinischen Entscheide in Frage stellen. »Rabbi, ich habe ein Huhn und einen Hahn. Schlachte ich das Huhn, kränkt sich der Hahn. Schlachte ich den Hahn, kränkt sich da Huhn. Welches soll ich nun schlachtenDer Rabbi klärt (überlegt, denkt nach) sehr lange und entscheidet: »Schlachte den Hahn!« »Rabbi! Aber da kränkt sich doch das Huhn!« »Nu - soll es sich kränken.«
Von der Verulkung der falschen Interpretation oder des falschen Entscheides bis zur Verspottung der Sache selbst ist es beim jüdischen Witz nur ein kleiner Schritt: Rabbi: »Chaim! Dein Sohn ist ein übler Sünder! Wo er ein Stück Schweinespeck sieht, beißt er hinein. Und wo er ein junges Mädel sieht, küsst er es abDarauf Chaim: »Oj, Rebbe! Er ist nebbich meschugge!« »Unsinn! Wenn er den Speck küssen und die Mädel beißen würde, dann wäre er meschugge. So ist er aber ganz normal
Nicht der wirkliche, sondern der eingebildete Antisemitismus bildet die Grundlage für manche Witze. Aber der Witz lacht nur am Rande über den paranoiden Juden. Der ganz und gar nicht komische Hintergrund ist die Tatsache, dass Juden wegen der unsinnigsten Verleumdungen und Angriffe eine traumatische Neurose erworben haben. Schließlich leitet ihn das lächerliche Verhalten immer und überall Antisemitismus zu vermuten. Trotzdem können diese Witze sehr lustig sein:
»Schmuel, was hast du im Radiogebäude gemacht?« »Mi-mi-mich u-um die Sch-sch-stelle des A-a-a-ansagers beworben.« »Und? Hast du sie bekommen?« »N-n-nein! Da-das s-sind alles A-a-antisemiten
Der Zweifel an religiösen Tatsachen und an der Richtigkeit der gesamten Weltordnung durchdringt uns bei dieser Art von Witz. Auch Schopenhauer war der Auffassung, dass das Nichts besser gewesen wäre als die Welt, so wie sie ist.
Ein Ingenieur kommt in ein polnisches Städtchen, bestellt beim jüdischen Schneider dort eine Hose. Die Hose wird nicht rechtzeitig fertig und der Ingenieur fährt weg. Jahre später kommt er wieder hin - da bringt ihm der Schneider die Hose. Ingenieur: »Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen, und Sie brauchen sieben Jahre für eine HoseDer Schneider streicht zärtlich über die Hose: »Ja. Aber schauen Sie sich an die Welt - und schauen Sie sich an diese Hose

Literaturnachweise über den speziellen jüdischen Witz, über den es auch Bücher gibt:
www.klezmer.at/Frejlech-Lachen.htm




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