Ich hab mal eine Zeugin Jehova reingelassen, die vor der Tür stand mit ihrer neunjährigen Tochter an der Hand, als ich erst dachte, auweia, die sehen aus, als würden sie gleich anfangen zu singen und als müsste ich jetzt die letzte Apfelsine aus der Küche holen. Sie haben aber dann nicht gesungen, sondern stießen mir direkt mit so existenzergreifenden Fragen ins Herz, also unter anderem danach, ob ich an das baldige Ende von allem und jedem glauben wollen würde. Na, da war ich ganz perplex und meinte mehr so aus Hilflosigkeit, »na, da kommen Sie mal rein.« Und dann kam das Gespräch natürlich bald zu Gott, wo ich dann arg wirres Zeug von wegen Evolution erzählt hab, und wenn überhaupt Gott, dann nur ganz pantheistisch inklusive Steine, Pflanzen und Tiere. Also das ganze war für sie natürlich auch kein Vergnügen. Ja, aber der Mensch wäre das Ebenbild Gottes, meinte sie und das definiere die Sonderrolle des Menschen in der Schöpfung. Punkt. Ich meinte dann wieder, nein, das halte ich für definitiv falsch, weil die ganze Schöpfung doch ein Kontinuum wäre und der Homo sapiens überhaupt nur zwei Millionen Jahre alt, die Erde und fast alle anderen Spezies doch viel älter wären. Da hatte sie sofort einen passenden Wachturm in ihrer Tasche zur Hand, ich könnte das ja mal in Ruhe lesen, weil darin alles bewiesen sei, dass Darwin überhaupt nicht recht hatte und die Evolution ein großer Irrtum. Ich meinte, ja gut, kann ich ja mal lesen, aber brauch ich eigentlich nicht, weil das mit der Evolution natürlich nicht zwingend ist und nur unter der Voraussetzung gültiger Naturgesetze, die aber nicht wie 1+1=2 seien, das wär schon glasklar seit Hume. Also wenn ich aus dem Palast von Knossos mir des Nachts eine paar Delphine von der Wand kratzen würde und mir an meine Tapete klebe, dann wird das Haus auch nicht plötzlich 3000 Jahre alt. Die Möglichkeit des Betruges wäre also immer gegeben, einem Gott sowieso, wobei man das dann auch meinetwegen nicht Betrug nennen müsste, denn es wäre ja schließlich ein guter, der Gott. Bei den Delphinen kam sie dann darauf, dass sie ja auch Tiere mögen würde, so wär das ja nicht, sie würde nämlich auf dem Land leben und hätte zwei Hunde und drei Katzen und ihre Tochter hier ihr zur Seite, die immer noch bedrohlich still nach plötzlichem Singen aussah, hätte mehrere Kaninchen. Da wurde ich allerdings hellhörig, denn jetzt war ja ihre Kompetenz in punkto Lebewesen generell nicht mehr zu bestreiten, ja rein numerisch war sie mir deutlich voraus. Ja, meinte ich, da müsse sie aber doch dem Tier schon aus Erfahrung und einfachster Wahrnehmung das volle Recht einräumen, das ihm durch irgendeine menschliche Sonderrolle doch aufs gemeinste und folgenreichste bestritten würde. Nein, also bei allem Verständnis, sie würde ihre Tiere ja wirklich lieben, aber sie auf eine Stufe mit dem Menschen zu stellen, wäre doch absurd, wo denn so etwas hinführen solle, den Menschen zum Tier zu machen. Ich meinte, oder eben das Tier zum Menschen. Ja, aber, stellen Sie sich vor... fing sie an. Ich dachte schon, jetzt kommt so eine Musterungsgewissensfrage, stellen Sie sich einen Schimpansen und einen Säugling nebeneinander vor, und Sie könnten den Säugling nur retten, wenn Sie den Schimpansen erschiessen, was würden Sie tun und bla bla bla. Aber es ging dann eher in die Richtung des Vorteils des Menschen durch den Besitz seiner Vernunft, die dem Tiere doch ganz offensichtlich versagt sei. Und so weiter. Es war doch arg anstrengend und lästig, anscheinend auch für sie, denn irgendwann schaute sie auf die Uhr, ein Tagesprogramm schien ihr im Nacken zu sitzen, dass ich ihr und sie sich selbst nun schon weitgehend ruiniert hatte. Sie ging dann mit ihrer nicht singenden Tochter und ward nie mehr gesehen, vermutlich hat sie meine Klingel fürderhin systematisch gemieden. Als Abwimmelungsstrategie ist das ganze aber gar nicht zu empfehlen, dafür ist es zu zeit- und nervenraubend. Dafür kamen ein paar Wochen später die Mormonen, die... ach nein, das ist eine andere Geschichte.
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