Popov und Piezke
Es waren einmal zwei gute Freunde, die hießen Popov und Piezke. Sie wohnten zusammen in dem kleinen weißen Haus am Waldrand. Popov unten in der Stube, Piezke oben auf einem Balken unterm Dach. Popov konnte fliegen. Manchmal stieg er auf das Dach, setzte sich auf den Schornstein und flog ein bisschen herum. Piezke konnte nichts. Weil er so faul war.
Weil er immer nur schlafen wollte. Schlafen und schlafen...Denn er war ein Siebenschläfer. Immer schlafen. Er schlief im Winter, schlief im Frühling, schlief im herbst. Schlief im Liegen, im Sitzen, im Gehen. In der Schule, beim Essen, am Tag und in der Nacht. Aber seine größte Leidenschaft war das Fliegen! Nur wollte er`s nicht selber lernen. Er wollte mitfliegen, er wollte beim Fliegen schlafen, er wollte sich nicht dabei bewegen, und jetzt fängt die Geschichte an:
Der Winter war vorbei, Zeit für die kleineren Wald- und Pfotentiere in die Waldschule zu gehen.
„Steh auf, Piezke!“ sagte der alte Popov. „Die Waldschule fängt an.“
„Uaaa“, gähnte Piezke, „wie spät ist es?“
„Der 6. März“, sagte der alte Popov.
„Zu früh“, sagte Piezke und drehte sich um, „ich bin ein Sieben-schläfer. Wecke mich wieder am 7. . . . . April.“
Der 7. April kam, Popov ging wieder hinauf und weckte ihn. Freundschaft hin, Freundschaft her, Popov packte ihn an dem Kragen, denn Waldschule ist wichtig, und schleppte ihn in die Stube. Frühstücken.
Drei Haselnüsse, zwanzig Weizenkörner, frische Ziegenmilch, und Piezke schnorchelte im Stehen weiter:
„Uaaa, 7. April. Ist sowieso zu spät, da fangen morgen schon die Ferien an.“
Aber Freundschaft hin oder Freundschaft her, Waldschule ist wichtig, weil dort die jungen Hasen das Laufen lernen, die Hirschkäfer die Jagd, die Igel das Spurenlesen und die Siebenschläfer das Zählen lernen müssen, bis sieben nämlich.
„Oder fliegen wir?“ Piezke machte ein Auge halb auf; denn Fliegen war seine Leidenschaft.
Aber nein. Freundschaft hin und Freundschaft her, wenn Piezke fliegen wollte, sollte er`s selber lernen, sagte der alte Popov. Packte das Frühstück in ein Blatt, und dann gingen sie los.
Piezke schlief im Gehen. „Pflück mir doch mal eine Blume, ja!“ sagte er, aber das war nur ein Vorwand, eine Ausrede, er wollte, als der Popov ihm eine Blume suchte, sich hinlegen, ein kleines Nickerchen machen.
Gingen sie ein Stückchen weiter, hatte er eine neue Ausrede: „Bleib doch mal stehen, ja! Ich muß husten.“ Legte sich hin und pennte.
„Ich muß mich mal kämmen.“ Blieb wieder stehen, kippte um und schnorchelte wie eine Baumsäge. Sie kamen überhaupt nicht vorwärts.
Er sah die schöne Landschaft nicht und was alles passierte im Wald. Sah nicht, wie lustig sich die Tiere im Wald tummelten, er wollte immer nur schlafen und schlafen und schlafen.
Oder fliegen!
Freundschaft hin oder Freundschaft her, aber man darf die Faulheit nicht auch noch unterstützen. Wenn einer fliegen will, soll er`s selber lernen.
Vorne ging Popov und hinten der faule Piezke.
Auf einem Sandberg blieb er stehen. Auf einem Sandberg hat man eine gute Aussicht, wenn man die Augen halb aufmacht. Und auf einem Sandberg wird man selbst auch gut gesehen. Von allen die vorbeifliegen, von Fliegern, Vögeln, Adlern, Spatzen. . . Meisen. . . Schmetterlingen. . .
„Hee. . .“ Zu spät!
Ein wilder Vogel hat den Piezke erwischt. Will ihn wohl fressen. Will ihn wohl in sein Nest schleppen. Freundschaft ist Freundschaft, und der alte Popov muß sich aufschwingen und ihn retten.
„Heee. . .“
Und Piezke schläft und schläft und träumt vom Fliegen. . .
Aber da kommt ein größerer wilder Vogel. Schnappt sich den kleineren wilden Vogel. Will ihn wohl fressen. Will ihn nach Haus in sein Nest schleppen und seine Kinder damit füttern.
„Heeee. . .
Keine Rettung in Sicht, denn ein alter Mann ist keine Schwalbe, und Popov holt sie nicht ein.
Nur Piezke schläft und schläft und träumt vom Fliegen.
. . . aber da kommt aus der Ferne ein Flugzeug. Eine Rettung!
Das ist ja Plümm Pelzki, der Großwildjäger, mit seiner Super-8-Trudelmaschine. Hat den Raubvogel schon gesichtet. Reißt seine Super-8-Trudelmaschine herum . . .schwingt das Lasso. . . Rettung in Sicht?
Nein. Er hat den großen wilden Vogel mit dem kleinen wilden Vogel schon gefangen, schleppt sie nach Hause. Will sie an einen Zoo verkaufen. Oder will er sie fressen?
„Heeee. . . ihr da. . . !“
Nur Piezke schläft und schläft und träumt schön vom Fliegen.
Keine Rettung in Sicht, denn die Super-8-Trudelmaschine fliegt fünfmal schneller als zehn wilde Vögel und hundertmal schneller als ein alter Mann
Verloren. Alles verloren. Aus, Sense, Schluß.
Nur noch der Räuber Jonny Schnapsglas lauert mit seiner doppelten Flinte auf Beute. Hat Plümm Pelzki bereits gesehen. Lädt seine Flinte. . . legt sie an. . . hat es wohl auf den schönen Pelzmantel des Großwildjägers abgesehen und ballert. . .
Bammmmm brrrrmmmmm fiuuuu . . . Schrot. Getroffen.
Aber Plümm Pelzki ist stärker, stürzt auf Jonny Schnapsglas. Jonny fleht um Gnade...Nur Piezke ist verloren. Stürzt in den Teich. Kann nicht schwimmen. Aus, Sense, Feierabend, Schluß mit allem. Und er träumt immer noch vom Fliegen. . .
Aber Freundschaft ist Freundschaft, da gibt es keine Ausrede. Und wer fliegen kann, der kann auch unters Wasser gehen. Da treibt ja Piezke in der Strömung und träumt vom Fliegen.
In der letzten Sekunde gerettet. Die Waldschule ist längst vorbei. Die Sonne geht schon unter, die kleinen Waldtiere grummeln schon in ihren Höhlen. Piezke schläft immer noch. „Weißt du“, sagt er im Schlafe, „weißt du, heute war in der Waldschule der schönste Tag meines Lebens. Denn wir hatten den ganzen Tag Traumstunde. Und ich habe gewonnen. . . weil. . . nämlich. . . ich hatte den schönsten Traum. Von Plümm Pelzki. . . und von der Trudelmaschine. . . und ich habe. . . immer. . . vom. . . Fliegen. . . ge. . . tr-ä-u-mt. . .“
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