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Bush-Regierung
Ein Insider packt aus
Von Marc Pitzke, New York
Der geschasste US-Finanzminister O'Neill bringt seinen früheren Dienstherren in Bedrängnis. In einem TV-Interview gestern Abend und in einem Buch wirft er George W. Bush vor, er habe den Irak-Krieg von Anfang an geplant. In beispielloser Weise entblößt er den Regierungsstil des Präsidenten und die Ränkespiele seiner Prätorianergarde.
(Aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv: Artikel vom 12.01.2004)
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Schwere Vorwürfe gegen Bush: Ex-Minister O'Neill
New York - Der erste Schock kam bereits zehn Tage nach der Vereidigung des Präsidenten. Am 30. Januar 2001 beruft George W. Bush erstmals seinen Nationalen Sicherheitsrat ein. Der überraschende »Tagesordnungspunkt A« der erlauchten Runde: Kriegspläne zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein.
»Von Anfang an herrschte die Überzeugung, dass Saddam Hussein weg müsse«, erinnert sich Paul O'Neill, als US-Finanzminister damals automatisch Mitglied des Sicherheitsrats und Teilnehmer der schicksalsträchtigen Sitzung. »Vom ersten Moment an ging's um den Irak. Diese Dinge wurden am ersten Tag besiegelt.« Kritische Fragen (»Warum Hussein? Warum jetzt?«) habe keiner der Anwesenden gestellt.
Erst acht Monate später lieferte der Terror des 11. September 2001 Washington die offizielle moralische Begründung des Krieges, später verbunden mit der inzwischen ebenfalls als Schimäre enttarnten Geheimdienstmär von Iraks Massenvernichtungswaffen. Da waren die internen US-Einmarschvorbereitungen (mit Wissen O'Neills) jedoch schon längst im Endstadium - inklusive detaillierter Szenarien für eine irakische Nachkriegsordnung.
Wie ein Blinder unter Tauben
Doch alle Beteiligten hielten artig den Mund. Auch O'Neill, selbst nachdem er im November 2002 von Bush als unbequem gefeuert wurde.
Bis heute.
Nun hat O'Neill sein Schweigen gebrochen. Als Hauptquelle für ein brisantes Enthüllungsbuch, das jetzt erscheint - flankiert von Interviews, erst mit dem TV-Sender CBS, dann mit dem Nachrichtenmagazin »Time« - rechnet er mit seinem alten Dienstherrn ab.
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US-Präsident Bush: Seit wann plante er den Irak-Krieg?
O'Neills Einblicke hinter die Kulissen des Weißen Hauses enthalten explosives Material. Nicht nur, dass das Bush-Team den Irak-Krieg bereits als erste Amtshandlung 2001 geplant habe: Bush, so urteilt O'Neill über seinen Ex-Chef, regiere das Land so inkompetent wie »ein Blinder in einem Raum voller Tauber«.
Schwerer Tobak. Zumal mit O'Neill erstmals ein Mitglied des engsten Bush-Zirkels, obendrein seinerzeit im Kabinettsrang, aus dem Nähkästchen plaudert. Kein Wunder, dass Bushs Vasallen nun gleich zum Gegenangriff blasen: »Wir haben nicht auf ihn gehört, als er hier war«, sagt ein Bush-Berater abfällig. »Warum sollten wir jetzt auf ihn hören?«
Krieg als längst beschlossene Sache
Doch O'Neills Vorwürfe sind nicht aus der Luft gegriffen. Sie bestätigen, was sich seit einigen Wochen sowieso immer mehr herauskristallisiert: Dass Bushs Rechtfertigungsgründe für den Irak-Krieg (das Waffenarsenal, Saddams Verbindung zu den Attentaten des 11. Septembers) nur rhetorisches Schmückwerk für eine längst beschlossene Sache waren. Und sie werden von 19.000 Seiten internen Dokumenten gestützt, die Pulitzer-Preisträger Ron Suskind, vormals Reporter des »Wall Street Journal«, für sein Buch »The Price of Loyalty« gesammelt hat: Memos, Hand geschriebene Notizen, dicke Aktenwälzer, Transkripte der Sitzungen des Sicherheitsrats - »brisantes Zeugs«, wie Suskind behauptet.
Hunderte Regierungsmitarbeiter, darunter mehrere Kabinettsmitglieder, versorgten Suskind darüber hinaus anonym mit Hintergrund-Informationen und ihren privaten Notizen aus Sitzungen im Weißen Haus. Nur einer gab sich namentlich zu erkennen: O'Neill.
Dessen Verwunderung über seine neue Arbeitsstätte begann bereits unmittelbar nach der Vereidigung Anfang 2001. O'Neill, ein Regierungsveteran unter Richard Nixon und Gerald Ford und später Chef des weltgrößten Aluminiumkonzerns Alcoa, war bei seiner Rückkehr nach Washington auf alles vorbereitet - nur nicht auf die offensichtlich erste Regierungspriorität: den Sturz Saddams.
Frühe Aufmarschpläne für den Irak
»Alles drehte sich darum, wie man's machen könnte«, erzählte O'Neill der CBS-Starreporterin Leslie Stahl gestern Abend zur besten Sendezeit. »Das war der ganze Ton. Der Präsident sagte: 'Findet mir einen Weg, es zu tun.'« Dem besonnen O'Neill selbst habe sich da der Magen umgedreht: »Für mich war das Konzept eines Präventivschlags, dass die USA das unilaterale Recht haben, zu tun was sie für nötig halten, ein wirklich großer Sprung.«
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Eisiges Verhältnis: Bush und O'Neill (Archivfoto vom Dezember 2000
Doch Bush habe das Thema zwei Tage später, auf der nächsten Sitzung des Sicherheitsrats, weiter vorangetrieben. Autor Suskind skizziert in seinem Buch den frühen Aufmarsch Bushs für den Irak-Krieg - bereits im Januar und Februar 2001: »Es gibt Memos. Eins davon, 'geheim' gestempelt, lautet: 'Plan für den Irak nach Saddam.'« In weiteren Exposés bereitete sich das Weiße Haus demnach schon damals auch auf den Nachkriegseinsatz von Friedenstruppen und Kriegsverbrechertribunalen vor - sowie die Aufteilung des irakischen Öls. Ein Pentagon-Dokument (»Ausländische Bewerber um irakische Ölfeld-Verträge«), datiert vom 5. März 2001, habe eine Landkarte mit potenziellen Ausbeutungsfeldern beinhaltet.
Nach außen hin leugnete die Regierung ihre Irak-Ambitionen. Außenminister Colin Powell äußerte selbst zwei Monate nach den Terroranschlägen von 2001 über Saddam Hussein noch: »Ich habe nie einen Plan gesehen, wonach er beseitigt werden sollte.«
Monolog im Oval Office
Unsichtbar war für O'Neill dagegen etwas anderes: die angeblichen Beweise, dass der Irak Massenvernichtungswaffen horte - jener von Bush und Powell an die Vereinten Nationen vorgebrachte Kriegsgrund. »In den 23 Monaten, die ich (im Amt) war, habe ich nie irgendetwas zu sehen bekommen, was ich als Beweis für Massenvernichtungswaffen charakterisieren würde«, sagt O'Neill, dessen Ministerium eine eigene Geheimdienstabteilung unterhielt. »Leute machten Andeutungen und Behauptungen. Doch ich bin ganz schön lange dabei, und ich kenne den Unterschied zwischen Beweis und Behauptung. ... Ich habe nie etwas in dem Geheimdienstmaterial gesehen, was ich als echte Beweise beschreiben würde.«
Mitarbeiter des Weißen Hauses lassen die Anschuldigungen kalt. »Solche Informationen gab es nur für Insider«, sagt ein Bush-Mann. »O'Neill war nicht in der Position, so etwas zu erfahren.«
Womit O'Neill aber auf jeden Fall schnell Erfahrung machte, war Bushs Regierungs- und Führungsstil. Einen Vorgeschmack bekam er bei seinem ersten, einstündigen Vier-Augen-Termin im Oval Office. »Ich war überrascht, dass nur ich redete und der Präsident nur zuhörte«, erinnert sich O'Neill an die skurrile Begegnung. »Es war weitgehend ein Monolog.«
Kult-Gefolgschaft für den Kritiker
Freien Ideenfluss oder Meinungsaustausch habe es zu seinen Zeiten im Weißen Haus nicht gegeben, ergänzt O'Neill. Kabinettssitzungen habe Bush auffallend teilnahmslos geleitet. Alles, worauf sich die Minister hätten stützen können, seien »Ahnungen« gewesen, »was der Präsident wohl denken mag«. Manchmal hätten sie ihre Ideen einfach an die Presse lanciert, um so eine Reaktion Bushs zu provozieren.
Gesteuert würden die meisten Entscheidungen von Vizepräsident Dick Cheney und seinen Paladinen - »eine Prätorianergarde, die den Präsidenten umstellt«. Das bekam O'Neill beim leidigen Thema Steuersenkungen am eigenen Leibe zu spüren. Auf einer Sitzung nach den Kongress-Zwischenwahlen Ende 2002 sprach sich der Minister gegen weitere Einschnitte aus, weil diese das Defizit weiter hochtreiben würden. Da habe ihn Cheney unterbrochen: »Weißt du, Paul, Reagan hat bewiesen, dass Defizite keine Rolle spielen. Wir haben die Wahlen gewonnen, dies steht uns nun zu.« Er sei sprachlos gewesen, fügt O'Neill hinzu. Die Steuersenkungen traten in Kraft.
Es war sein wachsender Unmut, der dem Minister letztlich den Posten kostete. O'Neill hielt sich mit seiner Kritik immer weniger zurück, wich öffentlich von der verordneten Sprachregelung ab. »Du kriegst eine ganz schöne Kult-Gefolgschaft«, sagte Bush eines Tages, nur halb scherzend, und nannte ihn fortan »The Big O«. Als O'Neill auf einer Kabinettssitzung Ende 2002 Steuerkürzungen erneut ablehnte, war sein Schicksal besiegelt.
»Sie können mir nicht mehr weh tun«
Neun Tage später bestellte ihn Cheney ein. »Paul, der Präsident hat beschlossen, im Wirtschaftsteam ein paar Änderungen vorzunehmen«, teilte er dem Minister eiskalt mit, »und du bist Teil dieser Änderungen.« Dreist befahl ihm Cheney außerdem, in der Öffentlichkeit so zu tun, als gehe er freiwillig. Doch da lachte O'Neill nur noch: »Ich bin zu alt, um jetzt noch mit dem Lügen zu beginnen.«
So lassen ihn die neuen Anfeindungen des Weißen Hauses kalt, wo man seine Enthüllungen als späte Rache eines Geschassten darstellt. Er rezensiere keine Bücher, reagierte Bush-Sprecher Scott McClellan zunächst spitz; dann tat er O'Neills Vorwürfe als »seine eigene Meinung« ab. »Ich bin alt und ich bin reich«, lacht O'Neill. »Sie können mir mit nichts mehr weh tun.«
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