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wuming schrieb am 26.10. 2009 um 20:25:07 Uhr über

Interview

»Ich kam schon in einer Zeit zurecht, als es gar keine Wikipedia gab«

Markus Kompa 26.10.2009
Interview mit dem umstrittenen Medientheoretiker Prof. Eugen Driverman zur ihm drohenden Entziehung der Lehrbefugnis, der fefe-Krise von 2009 und der Kanzlerwahl Westerwelles von 2016
Dem renommierten Medienforscher Prof. Eugen Driverman soll demnächst die Lehrbefugnis für Wikipedistik entzogen werden, weil er sich öffentlich für eine Wiederherstellung des Artikels zur »Meinungspluralität« ausgesprochen hatte. Mit Telepolis sprach der Wissenschaftler exklusiv über den Prozess der Wiedervereinigung der Medien, die dunkle Zeit des Meinungschaos im letzten Jahrhundert und die fefe-Krise von 2009.

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Herr Prof. Driverman, sie galten für ein Jahrzehnt als einer der führenden Vordenker der Wikipedistik, doch heute im Jahr 2019 wurde sogar der Artikel über Sie wegen Irrelevanz gelöscht. Wie konnte es so weit kommen - mit Ihnen?

Eugen Driverman: Tja, wissen Sie, junger Mann, als älteres Semester stamme ich aus einer Zeit, die Sie vermutlich nur noch aus der Wikipedia kennen, soweit diese nicht gelöscht ist. Wir hatten ganz früher ja gar keine elektronischen Medien, sondern benutzten Papier, also dieses Material, dass wir heute nur noch beim Toilettenbesuch verwenden. Man hatte es damals aus Holz hergestellt, es sah in etwa so aus wie diese Rollbildschirme, die mal Mode waren. Nur, dass man die halt nur einmal beschreiben konnte. War furchtbar unhygienisch und unpraktisch. Jeder Informationsträger konnte nur an einem Ort zur gleichen Zeit sein! Im letzten Jahrhundert herrschte in Deutschland nach der Erfahrung mit totalitären Systemen die Doktrin, man solle zur Verhinderung einer [extern] Gleichschaltung der Medien dem Volk eine Vielfalt an Meinungsangeboten bieten, um die Qualität der politischen Meinungsbildung zu verbessern. Das nennt man »Meinungspluralismus«, was in der Schweiz derzeit noch [extern] Gesetz ist.

Deshalb durfte der Staat früher auch keine eigenen Medien betreiben, um diesen Meinungsbildungsprozess nicht zu beeinflussen, richtig?

Eugen Driverman: Genau, jedenfalls pro forma hatte sich der Staat raus zu halten. Man wollte die Vielfalt an Meinungen fördern, ersann Verfahren, um Konzentrationsprozessen entgegen zu wirken und so Meinungsmonopole zu verhindern. So war es früher Medienpolitikern wichtig gewesen, dass es unterschiedliche Zeitungen und mehrere voneinander unabhängige Verlage gab. Die bis vor ein paar Jahren existierenden öffentlich-rechtlichen TV-Sender wurden ganz früher vom Staat in der Weise organisiert, dass pluralistisch besetzte Rundfunkräte die Programmvielfalt kontrollierten. Auch private Rundfunkanbieter, die man lange ernsthaft für eine Ergänzung zum pluralistischen Informationsangebot hielt, wurden durch [extern] Landesmedienanstalten auf Gewährleistung von Meinungsvielfalt kontrolliert.

Informationsmonopol

Aber das änderte sich ja bekanntlich 2012.

Eugen Driverman: Ja, nachdem alle großen Printmedien in die Insolvenz gegangen waren und selbst das Privatfernsehen nicht mehr von staatlichen Subventionen getragen werden konnte, hatte sich die Wikipedia endgültig als Leitmedium etabliert. Nachdem auch die Religionen als fiktiv und damit als irrelevant bewertet wurden, nahm die Wikipedia nach Löschung der Kirchen gesellschaftlich deren Status ein und beanspruchte fortan wie seinerzeit der Vatikan das Informations- und Deutungsmonopol in allen Lebensbereichen.

Sie sagen das so, als sei das etwas Negatives.

Eugen Driverman: Nun ja, wir fanden es früher sehr wichtig, dass es zu jeder offiziellen Meinung auch eine Gegenmeinung gab, welche diese infrage stellt und kontrolliert.

Aber das ist doch unproduktiv. Ich meine, entweder ist etwas wahr, oder halt nicht. Richtig oder falsch. Wir müssen doch nur in die Wikipedia gucken.

Eugen Driverman: Hm, »richtig« und »falsch« sind häufig subjektive Wertungen. Bei vielen Dingen verfügen wir gar nicht über ausreichende Informationen, um uns eine Meinung zu bilden, und da kommen wir nur mit Theorien weiter, die angehört und toleriert werden müssen, wenn sie über ein Minimum an Substanz verfügen. Wissenschaft setzt das Recht auf Irrtum mit einer an sich fundierten These voraus, der man ja grundsätzlich auch kritisch gegenüberstehen darf. [extern] Voltaire sagte einmal: »Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen

Verstehe ich jetzt nicht. Wir können doch alles in der Wikipedia nachlesen, und eigene [extern] Theoriefindung ist ja seit 2017 sogar gesetzlich verboten.

Eugen Driverman: Sie können in der Wikipedia nur den Ausschnitt der Realität wahrnehmen, den Ihnen der [extern] Gatekeeper zugesteht. Früher waren Redakteure klassischer Medien die Gatekeeper, seit 2011 sind es die »Artikelpaten« bzw. die Admins. Sie bekommen nur die Informationen, die Sie bekommen sollen, damit sie keine ggf. unerwünschten Schlussfolgerungen anstellen.

Artikelpaten und Deutungshoheit

Aber die Artikel sind doch immer hervorragend aufbereitet. Schließlich verwendet Wikipedia nur Quellen »vom Feinsten« und verfügt über ein gut funktionierendes Erkenntnissystem. Außerdem wird jedes Thema von einem [extern] qualifizierten Paten gegen Unfug und Vandalismus verteidigt.

Eugen Driverman: Jaja, die [extern] »Artikelpaten« ... »Qualifiziert« ... Dass ich nicht lache! Machen sich in der Wikipedia beliebt, schleimen sich rein, und wenn sie dann genug gekuschelt haben, dann gelten sie als »vertrauenswürdig«. »Artikelpaten« nannte man ab 2011 offiziell die Benutzer, die man früher als »Blockwarte« verspottet hatte: also Leute, die sich anmaßten, die Wahrheit zu kennen und die Lufthoheit über bestimmte Artikel bewahrten. Kleingeistige Typen wie Rentner, die Falschparker aufschreiben ...

Aber es ist doch sehr nobel, dass diese Leute die Wahrheit verteidigen.

Eugen Driverman: Nun ja, das ist Ansichtssache. Wer weiß denn schon, was Wahrheit ist? Wissen Sie, bis Ende der 90er Jahre oder so hatten viele Menschen [local] Zweifel an der offiziellen Version des Medienkartells, der zufolge der amerikanische Präsident John F. Kennedy von einem Alleintäter erschossen wurde. Die deutsche Wikipedia jedoch hat sich bereits von Anfang an dafür entschieden, dass im Jahre 1963 ein Herr Oswald der alleinige Täter war und alle anderen Meinungen als »randständig«, [local] »unseriös«, wenn nicht gar als »Verschwörungstheorie« zu gelten hatten.

Und? Das ist doch so. Sie können doch genau in der Wikipedia nachlesen, dass Oswald Kennedy erschossen haben muss. Alles andere ist Unsinn.

Eugen Driverman: Weil Sie in aufeinander bezogenen Informationskartellen gefangen sind, halten Sie Ihre Interpretation für die Realität. Aber könnte es sich nicht um die subjektive Meinung eines tunnelblickenden oder ignoranten Blockwarts handeln - also ich meine natürlich, um die eines »Artikelpaten«, der nicht zur Gegenrecherche bereit ist?

Jetzt entschuldigen Sie mal, Herr Professor. Wissen Sie denn, wie es 1963 in Dallas zugegangen war? Waren Sie denn dabei und hatten Sie den Überblick über die Zusammenhänge? Die Wikipedia weiß es.

Eugen Driverman: Nein, das Wissen beanspruche ich nicht. Aber ich beanspruche das Recht, mir meine eigene Meinung zu bilden, und es wäre Aufgabe einer Enzyklopädie, mir die Informationen für meine eigenen Schlussfolgerungen und Bewertungen zur Verfügung zu stellen, anstatt selbst zu filtern und mich zu bevormunden. Ich will überzeugt, nicht überredet werden.

Aber das ist doch Unsinn! Oswald hat Kennedy erschossen! Das können Sie doch in der Wikipedia nachlesen. Welchen Sinn sollte es haben, diese durch Wikipedia referenzierte Tatsache infrage zu stellen? Das sind doch dumme, abwegige Verschwörungstheorien. Dann könnte man ja gleich behaupten, am 11. September seien [extern] drei Gebäude zusammengestürzt, obwohl es ja bekanntlich nur zwei gewesen waren.

Eugen Driverman: Vielleicht war mein Beispiel nicht gut gewählt ...

Prinzip wissenschaftlichen Zweifelns

Ich verstehe noch immer nicht, was das mit der Meinungsvielfalt soll. Das ist doch total kontraproduktiv und lähmend.

Eugen Driverman: Na ja, es könnte ja sein, dass sich die ursprünglich favorisierte Meinung als [extern] unzutreffend herausstellt. Wissen Sie, wir hatten in Deutschland schon mehrfach Staatssysteme, wo jeweils eine Einheitspartei entschied, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Hat am Schluss auch nicht immer so toll geklappt.

Aber dafür haben wir doch die Admins.

Eugen Driverman: Ja, so ist die Theorie ... Wissen Sie, früher war es modern, Wissen infrage zu stellen.

Was für eine Zeitverschwendung! Dann müsste man ja zu jeder Frage eine oder mehr Meinungen zulassen!

Eugen Driverman: Und das ist eben mit dem System der Wikipedia nicht kompatibel! Es darf zu jedem Thema nur genau einen Artikel geben, und der muss konsistent sein und darf daher genau nur eine Meinung vertreten, nämlich die des Artikelpaten. Wissen Sie, das ist die gleiche Sache wie bei vielen Erstbesteigungen von Bergen: Da gibt es sehr viel zu Literatur gewordenes Anglerlatein und Seemannsgarn, weil es keine Zeugen gab. Manchmal hat sich sogar eine Kommission hingesetzt und einfach abgestimmt, wer als erster da gewesen war. So wird Geschichte geschrieben, und so bilden die Admins heute die Realität ab.

Wo kämen wir denn auch hin, wenn jeder alles behaupten könnte? Menschen benötigen doch Orientierung!

Eugen Driverman: Nun ja, ich fand es damals anrüchig, als die Wikipedia nicht nur Leitmedium wurde, sondern ab 2014 auch von der ansonsten gegenstandslos gewordenen GEZ finanziert wurde. Das ursprünglich private, basisdemokratische Medium hatte sich immer mehr den etablierten, PR-anfälligen Medien angenähert. Und damals, als die Admins für Ihre Tätigkeit Geld erhielten, verloren sie meiner Meinung nach ihre Unabhängigkeit.

Das bewerten die [extern] Admins aber ganz anders. Im Gegenteil können nur gut bezahlte Admins unabhängig sein, weil sie auf diese Weise den Verlockungen der PR-Industrie usw. entsagen können.

Eugen Driverman: Glauben Sie das, ja? So, wie ich die Menschen und speziell die Politiker kenne, werden die nur noch gieriger. Wie dem auch sei, die Admins und die Paten wurden die neuen Gatekeeper. Früher wurden die Gesellschaften über Religionen und Monarchien informationell gleichgesteuert. Diese Harmonie wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Vielfalt gestört, heute hat die Wikipedia die Konsistenz der Wahrheitsabbildung wiederhergestellt.

Aber was gibt es denn daran zu kritisieren? Das alles funktioniert doch so gut!

Eugen Driverman: Finden Sie? Na ja, vielleicht kann es uns heute im Jahre 2019 ja wirklich egal sein, ob Kennedy 1963 von einem oder mehreren erschossen wurde und warum, der wird ja dadurch auch nicht mehr lebendig. Aber wissen Sie, damals musste man noch jemanden erschießen, um ihn zu sperren. Das Löschen in der Wikipedia ist natürlich ungleich humaner.

Wikipediakammer Hamburg

Sie gelten als früher Kritiker der Wikipediakammer am Landgericht Hamburg. Wie kam es überhaupt zu dieser Einrichtung?

Eugen Driverman: Früher, als es noch die Printmedien und einen von Wikipedia unabhängigen Rundfunk gab, wurden Streitigkeiten im Medienrecht oft in einer [extern] auf Presserecht spezialisierten Spruchkammer des Landgerichts Hamburg ausgetragen. Diese Kammer war um die Jahrhundertwende auch für die privatrechtliche Zensur des kontinentalen Internets zuständig gewesen.

Da sich die Medienlandschaft jedoch dahingehend entwickelt hat, dass die klassischen Medien erst [extern] von Wikipedia abgeschrieben hatten, später dann eingingen oder von Wikimedia übernommen wurden, hatten sich entsprechende Rechtsstreite zunehmend in die Wikipedia verlagert. Da man aber die deutschen Inhalte in den USA hostet, konnte die deutsche Justiz [extern] maximal die Domainweiterleitung von Wikipedia.de lahm legen, aber die Wikipedia nicht direkt beeinflussen. Dies wurde als [extern] unbefriedigend angesehen und vereinzelt über Internetsperren nachgedacht. Diese Sperren waren jedoch damals noch nicht durchsetzbar, da die seinerzeit an der Regierung beteiligte FDP alle anderen Wahlversprechen gebrochen hatte und zur Gesichtswahrung wenigstens das Internetsperrgesetz von 2009 vorläufig blockierte.
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Daraufhin konnte auf politischer Basis mit den Admins eine Übereinkunft getroffen werden, die der Wikipedia ähnlich [extern] wie früher den Kirchen einen besonderen öffentlich-rechtlichen Status einräumte. Man installierte pragmatisch für privatrechtliche Konflikte in der deutschen Wikipedia einen Spruchkörper mit spezieller Zuständigkeit, die zeitversetzt im selben Raum wie die damalige Hamburger Pressekammer tagte. Da es in Hamburg ohnehin einen [extern] Wikipedia-Stammtisch gab, der als Löschkartell verschrien war, konnte mit diesem Personal die neue Kammer sofort ohne Einarbeitungszeit qualifiziert besetzt werden.

Aber es gab doch damals diesen Skandal mit dem [extern] Sockenpuppen-Admin?

Eugen Driverman: Richtig, 2014 war der Vorsitzende Richter der Pressekammer aufgeflogen, weil er mit einem Admin der Hamburger Wikilöschkammer identisch gewesen war, was gegen irgendwelche Regeln verstieß. Man hat dann die Regeln geändert. Die ganze Sache hatte sich ja 2016 sowieso erledigt, weil der Pressekammer Hamburg mangels inzwischen insolvent gegangener Printmedien und der in der Wikipedia aufgegangenen Rundfunkhäuser keine Relevanz mehr zukam, daher sogar in der Wikipedia gelöscht wurde. Verblieben ist heute einzig die Wikilöschkammer, welche inzwischen auch für die marginalen verbliebenen anderen Mediensachen zuständig ist.

Aber das Internetsperrengesetz ist doch schon seit Jahren in Kraft.

Eugen Driverman: Richtig, der spätere Bundeskanzler Westerwelle hatte auf Drängen der Admins das »Internetsperrengesetz zur Qualitätssicherung der Wikipedia« durchgesetzt, mit dem die frühere Blogosphäre vom bisherigen Internet abgekoppelt wurde. Die Wikipedia hatte es sich lange leisten können, Blogs zu ignorieren und hausintern wegen Irrelevanz zu kappen, doch man befürchtete, dass die Bestätigung des Kanzlers sowie die Neuordnung der politischen Landschaft durch nicht gesperrte Nutzer und Blogger gefährdet werden könnte. Man hatte ja schließlich noch die fefe-Krise von 2009 im Gedächtnis.

fefe-Krise

»Fefe-KriseWas ist das denn?

Eugen Driverman: Ja richtig, das können Sie nicht wissen, denn es steht ja nicht in der Wikipedia. Bei der [extern] fefe-Krise hatte ein damals bekannter [extern] Blogger die [extern] offensive Löschpraxis in der Wikipedia kritisiert. Da dieser Blogger eine Zugriffsrate von ca. 250.000 Klicks pro Tag genoss, stiftete er urplötzlich eine [extern] große Unruhe. Es hatte schon lange in und um die Wikipedia [extern] gegärt, doch die kritischen Benutzer etc. waren gesperrt worden oder konnten es sich nicht leisten, öffentlich dem dominierenden System zu widersprechen, ohne in eine Querulantenrolle gedrängt zu werden.

Ähnlich wie seinerzeit die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die außerhalb der Partei ein [local] »Neues Forum« eröffnete, hatte auch der außerhalb des Wiki-Systems operierende Blogger fefe einen nicht von der Wikipedia zu kontrollierenden Informations- und Meinungsbildungskanal geöffnet und vielen namenlosen Opfern der Adminpedia eine [extern] prominente Stimme gegeben. Wie ein Katalysator hatte der provozierende Blogger einen politischen Flächenbrand entzündet, mit dessen Bewältigung die damaligen Admins dramatisch überfordert gewesen waren, ja einen geradezu [extern] hilflosen bis [extern] hysterischen Eindruck hinterließen.

Wie hatte man denn auf die Kritik reagiert?

Eugen Driverman: Zunächst versuchte man, das Problem auszusitzen und innerhalb der Wikipedia durch Löschen und Sperren [extern] totzuschweigen. Die von den Admins entwickelte Bunkermentalität erinnerte stark an die [extern] letzten Tage der DDR-Führung. Da inzwischen auch die klassischen Medien Wind vom Unmut der Dissidenten bekamen, versuchte man es dann mit einer [extern] hilflosen Charme-Offensive und lud die Blogger und Medienvertreter zu einer [extern] Propagandaveranstaltung in das neue Wiki-Zentrum nach Berlin ein. Die Realsatire war seinerzeit schwer zu überbieten. Der damalige Wikimedia-Chef ließ sich zu der Äußerung hinreißen, er stehe in gutem Kontakt zu allen Benutzern und [extern] »liebe doch alle«. Als sich schließlich abzeichnete, dass man in der Blogosphäre so billig nicht werde davon kommen, entschied man sich für die [extern] »chinesische Lösung« und sperrte flächendeckend alle [extern] Blogger, [extern] Blogs und bloggerfreundlichen Nutzer. Da die Wikipedia inzwischen das Informationsgeschehen dominierte, konnte man es sich damals leisten, die [extern] Blogger zu ignorieren und tot zu schweigen - bzw. tot zu löschen.

Internetsperre und Sockenpuppen-Erlass

Aber viele Leute ließen sich doch durch die Blogger fehlleiten!

Eugen Driverman: Das ist richtig, die Bundestagswahl 2016 etwa wurde massiv durch Blogs beeinträchtigt, die auf [extern] obskure neuartige Parteien hinwiesen, denen jedoch die Wikipedia keine Relevanz beimaß. Außerdem wurden unsinnige Verschwörungstheorien über die Schüsse von Düsseldorf verbreitet, als Kanzlerin Angela Merkel bei einem Autokonvoi von einem verwirrten Einzeltäter erschossen worden war, wie Sie es ja detailliert im Wikipedia-Report nachlesen können. Dies war auch mit ein Anlass ihres Nachfolgers Westerwelle, nach der knapp errungenen Wiederwahl die Medienlandschaft umzustellen und Blogs zwar nicht zu verbieten, jedoch vom offiziellen Internet [extern] abzutrennen und den Bloggern Hausverbot zu erteilen. Der so genannte »Sockenpuppen-Erlass«, der eine verdeckte Beteiligung von Bloggern am offiziellen Internet unter Freiheitsstrafe stellte, wurde auch mit den Stimmen der oppositionellen Sozialdemokraten und der Linkspartei verabschiedet. Dem war eine Kampagne in der Wikipedia vorausgegangen, die Befürworter von Meinungspluralität als Unterstützer von Pädophilen denunziert hatte.

Sie beklagen auch den Umgang der Gesellschaft mit Bloggern seit den Internetsperren.

Eugen Driverman: Die Karrierechancen für Blogger sind seit dieser Ausgrenzung aus dem konventionellen Internet bekanntlich gering, viele Krankenkassen akzeptieren keine Blogger, und inzwischen findet man ja immer häufiger an Gaststätten etc. den Hinweis »out of blogs«. In vielen Lebensbereichen, etwa wenn Sie Beamter werden wollen, wird heute von Ihnen sogar erwartet, dass Sie neben polizeilichem Führungszeugnis auch einen Nachweis für überwiegend unbeanstandete Edits erbringen. Versuchen Sie mal, als Blogger Mitglied in einem Golf- oder Karnevalsclub zu werden!

Entzug der Lehrbefugnis für Wikipedistik?

Sie treten neuerdings offen für Meinungspluralität ein und kritisieren die anstehende Fusionierung der Parteien.

Eugen Driverman: In der Tat sehe ich das neue Einparteiensystem sehr kritisch. Es mag ja sein, dass es mit der Demokratie nicht immer leicht gewesen war und viel unproduktives Zeugs produziert wurde; und letztlich kann man auch einwenden, dass die Parteien durch die Lobby ohnehin gleichgeschaltet waren. Aber ich sehe keinen Gewinn darin, den Prozess der politischen Meinungsbildung von einem offiziellen Gremium wie dem Bundestag in das parteiinterne Gremium der neuen Einheitspartei zu verlagern. Zwar entspricht dieses Modell dem der Wikipedia, dass es nämlich nur eine tragfähige Meinung geben kann und Gegner gesperrt werden können, aber ich bin und bleibe ein Vertreter des Prinzips des akademischen Zweifels. Und daher finde ich, dass es als Minimum Raum für Beiträge wie »Meinungspluralismus« geben sollte.

Sie kritisieren auch Verflechtung zwischen Politik und der Wikipedia.

Eugen Driverman: Ja, das ist richtig. Ich halte es für unvereinbar mit dem Demokratieprinzip, dass Wikipedia-Admins automatisch Anspruch auf das Informationsministerium haben. Ich empfand schon früher das Outsourcing der Gestaltung der Schulbücher an die Wikipedia als fragwürdig. Sehr übel aufgestoßen ist mir jedenfalls das nun verpflichtend gewordene Wikipedia-Gelöbnis neu rekrutierter Autoren am Schäuble-Ehrenmal.

Die Admins bewerten Ihre störrische Haltung als fehlgeleitet. Wie lief der Dialog ab?

Eugen Driverman: Zunächst erhielt ich eine Sperre von drei Tagen, um in mich zu gehen und meine Fehler zu suchen. An diesen Tagen landeten unzählige Vandalismuseinträge auf meiner Benutzerseite, gegen die ich mich wegen der Sperrung nicht wehren konnte. Als ich dann per Mail an einen Admin dagegen protestierte, wurde diese Mail als Verstoß gegen meine Sperre gewertet und diese daraufhin auf drei Monate verlängert. Früher gab es so etwas wie einen Rechtsanspruch auf Gehör, etwa »das letzte Wort dem Angeklagten« usw. Im Wikipedia-Universum ist das aber unbekannt, man muss sich fügen und sich Menschen mit dramatisch geringerem Fachwissen oder rudimentärer Methodik unterordnen. Verweigert man dem System gegenüber seine Botmäßigkeit, dann wird dies als unharmonisch empfunden und provoziert einen gewissen [extern] Corpsgeist. Systeme streben nun einmal zur Selbsterhaltung.

Ihre Sperre müsste inzwischen abgelaufen sein. Suchen Sie denn noch den Dialog mit den Admins?

Eugen Driverman: Nein. Nicht mehr. Es ist alles gesagt. Wissen Sie, man kann nicht auf Augenhöhe mit Leuten reden, die einen willkürlich sperren und zensieren oder geradezu sadistisch von ihrer verliehenen Macht Gebrauch machen. Das ist sinnlos und außerdem entwürdigend. Wer keine souveräne Diskussionskultur zu bieten hat, der disqualifiziert sich selbst. Ich werde hier für meine Studenten weiter lehren, und wenn man mir die offizielle Lehrerlaubnis entzieht, weiche ich halt in die Blogs aus oder gehe ins Exil. Ich kann damit leben. Ich kam schon in einer Zeit zurecht, als es gar keine Wikipedia gab.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.


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