Der „Grundriß der europäischen Staatengeschichte“ war Spittler’s letztes größeres Werk. Mit dem Jahre 1797 nahm seine akademische und gelehrte Laufbahn ein Ende, er trat unter vortheilhaften Bedingungen in den württembergischen Staatsdienst, unter dem Herzog Friedrich Eugen, dem zweitjüngeren Bruder des berufenen Herzogs Karl Eugen. Man erzählt sich, daß S. schon seit Jahren eine praktische, staatsmännische Laufbahn gewünscht habe und entschlossen gewesen sei, nicht als bloßer Professor sterben zu wollen. Er hatte es verstanden, durch seine Verbindung mit dem Hofprediger Koppe in Hannover Einfluß zu gewinnen; die Reise nach Frankfurt a. M., die er im J. 1790 im Gefolge der kurfürstlich hannoverischen Botschaft zur Krönung Kaiser Leopold II. gemacht hatte, hat ihm, meint man, wol auch Gelegenheit gegeben, nutzbringende Anknüpfungspunkte zu finden, mit seinem schwäbischen Heimathslande hatte er alle Fäden ja ohnedem niemals abgeschnitten; ferner nahm er, als hier in dem Jahre 1796 neue Verwicklungen zwischen den Ständen und der Regierung eingetreten waren, Veranlassung, wenn auch anonym sein Votum in diesen Dingen in einer Weise abzugeben, die die allgemeine Aufmerksamkeit auf den bald genug erkannten Verfasser hinlenkte. War es doch ein weises Reformprögramm, das er hier in populärer Weise aufgestellt hatte. So kann es uns in keiner Weise verwundern, wenn wir hören, daß man in seiner Heimath im Ernste daran dachte, ihm eine Stellung, die seinen Neigungen entsprach, zu bieten. Ob es völlig begründet ist, daß der ständische Ausschuß sich mit der Absicht trug, ihn in seine Dienste zu ziehen, müssen wir dahin gestellt sein lassen; war das der Fall, so kam ihm die herzogliche Regierung zuvor und gewann S. unter lockenden Bedingungen für den Dienst des Herzogs. Dieser war aber ein hochbejahrter Mann und starb noch am Ende desselben Jahres, in welchem S. seinem Rufe gefolgt war. Sein Nachfolger war Herzog Friedrich, der nach dem Verlauf nicht eines ganzen Jahrzehnts den württembergischen Herzogshut um den Preis des Anschlusses an Napoleon in eine Königskrone umgewandelt hat. Dieser Thronwechsel wurde zu einem Verhängniß für S. Der neue Fürst ließ es zwar für ihn an Ehre und Auszeichnungen nicht fehlen: S. wurde Staatsminister, Excellenz, Curator der Universität Tübingen, Präsident der Oberstudiendirection, ja zuletzt sogar in den Freiherrnstand erhoben, aber es unterliegt keinem Zweifel, daß er dieser Ehren nicht froh wurde und wol oder übel in eine falsche Stellung und in Zwiespalt mit sich selbst gerieth. Es ging das soweit, daß, als eine neue Auflage seines vom liberal verfassungsmäßigen Gesichtspunkt durchdrungenen „Grundriß der Geschichte der europäischen Staaten“ nothwendig wurde, er die Besorgung einer solchen ablehnte, da er sich von jedem ferneren Antheile an dem Buche losgesagt habe. König Friedrich hatte ja in seinem eigenen Staate die überlieferte Verfassung aufgehoben und durch einen crassen Despotismus ersetzt. S. hat in dieser seiner Stellung, so weit man sehen kann, auch manches Gute geweckt und schlimmes verhindert, man braucht sich jedoch bloß an seine früher bekannten Grundsätze zu erinnern und nebenher die Erzählung in Erwägung zu ziehen, die sein getreuer Freund Hugo von seinem letzten Besuche bei S. niedergeschrieben hat, um sich zu sagen, daß er sich in dieser, gelinde gesagt, delicaten Stellung zum mindesten nicht glücklich gefühlt hat. Er mag in diesen kritischen Jahren wol gelegentlich mit Sehnsucht an sein stilles Arbeitszimmer in Göttingen zurückgedacht haben. Als Schriftsteller hat er, seit seiner Uebersiedelung nach Stuttgart, nur noch ein paar schwache Anläufe genommen, ohne etwas zu vollenden. Der Gegensatz zwischen seinen Grundsätzen und der Wirklichkeit, der er dienen sollte, hat gewiß nicht dazu beigetragen, sein Leben zu verlängern. Er starb am 14. März 1810, noch nicht 58 Jahre alt. Den Irrthum seiner letzten Jahre wird man S. vergeben, er hat ihn schwer genug gebüßt und ein gemeiner Ueberläufer ist er ja nicht gewesen, lag doch in dem Streite der Gegensätze in Württemberg ohnedem nicht alles Recht auf der einen Seite allein. Eine Gesammtausgabe seiner Werke hat sein Schwiegersohn Wächter-Spittler in 15 Bänden in den Jahren 1827–1837 veranstaltet. Dr. Strauß hat in seinem Essay über S. das begründete Verlangen nach der Veranstaltung einer Auswahl von dessen Werken in 5–6 Bänden ausgesprochen, ein Verlangen, das auch heute noch ebenso begründet erscheint, als die Aussicht noch mehr gesunken ist, es je erfüllt zu sehen.
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