Wer hat schon Interesse an einer
(Wieder-)Verwirklichung dieses Instinkts?
Doch an einer solchen Aktivierung der natürlichen Instinkte und damit auch der Freiheit oder zumindest der
Verminderung von Ängsten und Zwängen hat natürlich niemand von all denen, die zu den ESTABLISHMENTS
unserer Gesellschaften gehören, ein wirkliches Interesse. Damit ist dann auch eine entsprechende alternative
ERZIEHUNG junger Menschen, in der auch die Nacktheit akzeptiert ist, illusorisch, denn die Erziehung liegt ja nun einmal stets
in den Händen der jeweiligen Establishments.
Allerdings müssen die Gründe für diese Unterlassung nicht unbedingt Böswilligkeit und Machtgier sein, sondern es kommen
auch persönlich bedingte VERDRÄNGUNGEN und Ängste in Frage. Denn auch für die Angehörigen der Establishments
dürfte es einfach unvorstellbar sein, daß sie selbst etwas Wesentliches im Leben verpaßt haben und daß sich da auch etwas
ganz allgemein ändern könnte. Und so zwingt die alte Generation der jungen immer wieder etwas Nutzloses aber
Angstmachendes auf und die männliche Welt gaukelt der weiblichen eine ehrenvolle und schützende Moral vor, die leider am
Ende den Betroffenen doch nichts hilft und nur zu oft auf das Gegenteil von Moral hinausläuft.
Bemerkenswert ist, daß bei antiken griechischen Statuen die Mädchen (die Koren) stets bekleidet, die Jünglinge (die Kuroi)
dagegen nackt dargestellt wurden. Wir sehen heute den Grund dafür im Zusammenhang mit der katastrophalen Stellung der
Frau ganz allgemein im alten Griechenland: Während wenigstens von der Idee her der Mann zur Freiheit, zur
EMANZIPATION, zum SELBSTBEWUSSTSEIN und zur Würde eines vollen Menschseins geboren war und er sich die
Nacktheit daher leisten konnte, sprach man diese Eigenschaften der Frau damals von vornherein ab. Die Frau war eben - einige
der damaligen Göttinnen vielleicht ausgenommen - nicht vollwertig und am besten Eigentum (eines Mannes oder vieler Männer),
sie war eben das ihm gehörige „Gefäß“, in das der Mann seinen Samen „goß“, damit in diesem Gefäß dann sein Samen
„heranreifte“ und ihm dann ein Ebenbild geboren wurde (zum Hintergrund dieses Denkens siehe unter
JUNGFRAUENGEBURT). Die (ständig notwendige) Bekleidetheit der Frau im Gegensatz zu der (möglichen) Unbekleidetheit
des Mannes drückt auch ein Besitzverhältnis aus (siehe BESITZDENKEN). Noch heute haben wir uns im Grunde da nicht so
recht emanzipiert. Im Gegenteil! Während im alten Griechenland wenigstens noch dem Mann die Nacktheit zugestanden und in
die Erziehung eingebaut wurde, wird sie heute sogar noch da tabuisiert!
Die Angst vor der Nacktheit gehört zum männerrechtlichen System
Und so produziert das eine Establishment das nächste, alte SPIESSER produzieren neue Spießer! Wer jedoch wirklich
selbstbewußt ist und sich auskennt, kann sich auch Nacktheit leisten etwa nach dem Motto: "Wer bin ich
eigentlich, ich weiß, daß ich mich an wirklich moralische Regeln halte und wieso soll ich mich eigentlich wegen
irgendwelcher angewachsener Körperteile schämen? Wer so etwas von mir verlangt, der will mir gewiß nichts
Gutes, der will, daß ich nicht wirklich zu mir selbst stehe, daß ich KOMPLEXE habe, daß ich Ängste entwickle, die
doch nichts helfen, der will auch mich wahrscheinlich genau zu derselben oberflächlichen und untauglichen Moral
führen, die er vermutlich selbst lebt...".
Solche Einstellung kann dann vielleicht sogar so weit führen, daß wir uns schließlich nicht schämen, weil wir nackt sind, sondern
daß wir uns schämen, weil wir nicht nackt sein können, obwohl dies in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll wäre...
Ganz paradox wird dann die Angst vor der Nacktheit, wenn wir von angeblich christlicher Morallehre her einen Menschen
heiraten sollen, wir uns also mit jemandem lebenslang auf Gedeih und Verderb verbinden sollen, den wir offiziell vorher noch
nicht einmal nackt gesehen haben dürfen. Das kann ja gar nicht funktionieren! Und so hat der wegen seiner grundsätzlich
prinzipientreuen Einstellung schließlich hingerichtete streng katholische englische Humanist (also jemand, dem die Achtung und
die Würde der Menschen ein besonderes Anliegen war) Thomas Morus sich in seinem Buch »Utopia« (siehe UTOPIE) schon
vor 460 Jahren hierüber sehr verwundert und sich schließlich auch über die Angst vor dieser Nacktheit sogar lustig gemacht.
Von einem offiziellen erlaubten Spaß an der Nacktheit konnte damals wie heute erst recht keine Rede sein.
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