Eigentum und Reichtum sind nach Aristoteles die Voraussetzung dafür, »damit die Tugend entstehen und politisch gehandelt werden kann.« So weit, so gut, jedenfalls im Allgemeinen. Dies bedeutete aber auch, dass diejenigen, die eigentumslos den Reichtum erarbeiteten, nicht zur polis gehörten und keine Menschen waren: »Die Banausen gehören nämlich nicht zum Staate, noch auch irgend eine andere Klasse, die nicht die Tugend zur Aufgabe hat. [... ] So muß denn auch der Besitz diesen Bürgem gehören, weit die Bauern Sklaven sein sollen oder umwohnende Barbaren.« Mitleid mit den etwa drei Viertel vom Menschsein Ausgeschlossenen hatte man nicht, man fürchtete lediglich herrschaftstechnisch: »[...) die Armut fährt zu Aufruhr und Verbrechen«59, was möglichst zu verhindern oder notfalls niederzuschlagen bzw. zu bestrafen sei. Im »Römischen Imperium« wurde das ebenso gehandhabt.
euzeit Das zwischenzeitlich durch das Christentum von oben in den
Umgang mit den Armen eingeführte Mitleid und die für sie entwickelte Fürsorge wurden im aufstrebenden Wirtschaftsliberalismus, wie bei Mandevitte und Smith, zur coolen Herrschaftstechnik degradiert. Die Reichtumsproduktion wurde aus ethischer Beschränkung befreit. Der möglichst billig produzierte und möglichst umfangreich angehäufte Reichtum erscheint nun als absoluter Zweck des Menschen und der Produktion. Man mag vielleicht dem Lob des produktiven Lasters seitens Mandevitte noch die Unschuld des erfolgreichen kapitalistischen Neuanfängs zubilligen, der von einer in räuberischer Brutalität und Korruption erfahrenen Monarchie und der Kirche Ihrer Majestät gestützt wurde, aber die Wiederholung heute ist nicht nur eine Farce, sondern ein endgültiges Verbrechen. heute Die aggressive neoliberale Ideologie, die heute vorherrscht,
stellt im Prinzip eine Rückkehr zum frühen englischen Wirtschaftsliberatismus dar. Friedrich von Hayek (1899-1992), der mit seiner Parole »Mehr Freiheit, weniger Staat!« in seinem Buch The Road to Serfdom den entscheidenden theoretischen Anstoß gab, griff auf Mandevitte zurück.60 Man wird aufschlussreiche Parallelen entdecken, wenn man die mandevillesche Elite Revue passieren lässt: Ärzte, die nicht als Ärzte handeln, sondern als Kaufleute und deshalb die Kranken nicht heilen, sondern zur
59 AristoteLes: Politik, München 1973, 1329a und 1265b
60 Fdedrich von Hayek, The Road to Serfdom, London 1944
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Reichtumsquelte umfunktionieren, Advokaten, die das Recht verdrehen, Richter, die die Hand aufhalten, egoistisch-korrupte Politiker.
Mandeville hat dies auf eine erfrischend offene Formulierung gebracht, noch bevor er durch die neueren Erscheinungen von corporate crime, Weiße-Kragen-Kriminalität und legalem Betrug61 bestätigt werden konnte: »Wie hat's ein solches Land doch gut, wo Macht ganz auf Verbrechen ruht!«" Doch die These, wonach die ethisch befreite Reichtumsakkumutation gegen den Willen der Akteure faktisch doch ins Allgemeinwohl umschlage, wurde während der letzten Jahrzehnte in den kapitalistischen Hauptländern wie im globalen Maßstab (wieder) widerlegt.
Die vergleichende Untergangsforschung zeigt, dass gerade im Hoch- und Endstadium eines gespattenen Gewinnsystems die Möglichkeiten der schnellen und immer noch größeren Selbstbereicherung wachsen - und genutzt werden. Dies gilt hinsichtüc des Konkurses von Einzeluntemehmen wie gegenwärtig in den USA, wo die Insidergeschäfte des Topmanagements ins )Unermessliche( steigen und der Mehrzahl der Beschäftigten wie bei den Weltkonzemen »Enron« und »Worldcom« alles genommen wird, einschließlich der aktienfinanzierten Renten." Dies gilt auch im Zusammenbruch ganzer Imperien wie, immer noch beispielhaft, des römischen und in neuerer Zeit des Nationalsozialismus und von Diktaturen in der >Dritten Welt(.
»Time is money!« Diese harmlos klingende Formulierung erweist ihren wahren Gehalt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der kapitalistische Profit nur in der immer schnelleren Übervorteilung der anderen Kapitalisten und Finanzjongleure und des Publikums möglich ist, aber auch in der Vernutzung der natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft. Denn die Anhäufung des Reichtums, einmal legitimiert und aus jeglicher Kontrolle entlassen, kennt für sich keine Grenzen und überschreitet bei Bedarf und Möglichkeit noch jede Grenze, die es bisher gab. Kriege werden geführt, Menschenrechte werden nicht nur mit Füßen getreten, sondern demagogisch für die eigenen egoisti-
61 1 Vgl. Dieter Schenk/Hans See (Hg.): Wirtschaftsverbrechen, Köln 1992; siehe auch Fußnote 45 62 1 Vgl. Fußnote 22
63 1 Werner Rügemer: Die große Aufblähung. Warum die Wirtschaft der USA größer erscheint als sie ist, in: Kommune 8(2002)
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