"Die Ilias ist nicht das Epos des Frauenraubs, des doppelten Raubs der Helena.
Die erste uns erhaltene Darstellung einer Liebe ist die Darstellung der Liebe,
wenn man das so bezeichnen will, von Patroklos und Achill.
Ein schwules Buch ist die Ilias nicht, denn bei allem Lohenstein'schen,
Sade'schen, Proust'schen, Genet'schen Rasen der Messer im Gedärm bleibt
eine Trauer zurück über die Begegnung der Speere und der schönen Leiber,
über das götterartige Ausbrechen des Achill aus der Themis, der menschlichen Ordnung.
Homosexualität stehe nur den Göttern zu, und selbst Achill, der Halbgott,
fügt sich zum Schluß seiner göttlichen Mutter Thetis
und begattet Briseis, die vom Speer bezwungene Sklavin.
Die Ilias zeigt einen Menschen, der wie Gott liebt, trauert, zürnt.
Das erste uns ganz zugängliche Epos der Weltliteratur handelt von Säkularisation.
Es stellt in Achill den ersten europäischen Individualisten dar.
Säkularisation heißt Bisexualität."
Hubert Fichte: Homosexualität und Literatur 2,181
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