Im gleichen Augenblick, da Monsieur de Charlus wie eine dicke Hummel pfeifend durch die Tür verschwand, kam eine andere, diesmal eine richtige, in den Hof geschwirrt. Wer weiß, ob es nicht die seit so langem schon von der Orchidee erwartete war, die ihr den seltenen Pollen brachte, ohne den sie den Stand der Jungfräulichkeit niemals verlassen würde? Doch wurde ich davon abgelenkt, dem munteren Summen des Insekts mit dem Blick zu folgen, denn ein paar Minuten darauf wurde meine Aufmerksamkeit stärker durch Jupien in Anspruch genommen der (vielleicht um ein Paket zu holen, mit dem er später fortging und das er in seiner Aufregung über das Erscheinen von Monsieur de Charlus vergessen hatte, vielleicht auch aus einem natürlicheren Grunde) von dem Baron gefolgt wieder im Hof erschien. Der Baron, nunmehr entschlossen, rasch voranzukommen, bat den Westenmacher um Feuer, bemerkte dann aber sofort: »Ich bitte sie um Feuer, sehe aber, daß ich meine Zigarren vergessen habe.« Die Regeln der Gastfreundschaft erwiesen sich als stärker denn die der Koketterie: »Kommen Sie doch herein, da können Sie alles bekommen, was Sie wünschen«, sagte der Westenmacher, auf dessen Antlitz der eher verächtliche Ausdruck offenkundiger Freude wich. Die Ladentür schloß sich hinter den beiden, ich konnte nichts mehr hören. Die Hummel hatte ich aus den Augen verloren, ich wußte nicht, ob sie das Insekt darstellte, das für die Orchidee so unentbehrlich war, zweifelte aber nicht mehr daran, daß eine in der Gefangenschaft lebende Pflanze und ein sehr seltenes Insekt die ans Wunderbare grenzenden Möglichkeit finden könnten, sich zu vereinigen, wo doch Monsieur de Charlus (es soll dies ein schlichter Vergleich hinsichtlich providentieller Zufälle jeglicher Spielart sein, ohne die leiseste Anmaßung, auf naturwissenschaftlichem Gebiet gewisse Gesetze der Botanik zu dem in Beziehung zu setzen, was man meist recht unzulänglich als Homosexualität bezeichnet), der seit Jahren in dieses Haus immer nur zu den Stunden kam, zu denen Jupien nicht anwesend war, nun durch den Zufall einer Unpäßlichkeit von Madame de Villeparisis dem Westenmacher und damit dem beglückenden Erlebnis begegnet war, das Männern vom Schlage des Barons durch eines der Wesen geschenkt wird – die sogar, wie man sehen wird, unendlich viel jünger und schöner sein können – durch den Menschen, der vom Schicksal im voraus ausersehen ist, damit auch diese ihren Anteil an den Wonnen der Erde erhalten: den Mann, der einzig die alten Herren liebt.
Marcel Proust –Sodom und Gomorra I; 2052 ff
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