Es ist oben auch im Vorbeigehen des Einflusses gedacht worden, welchen die Schwänke aus dem Munde des Volks auf Schriften wie das Hebel'sche „Schatzkästlein“ gehabt haben. Auch der Einfluß der Märchen überhaupt auf die Poesie, namentlich auf Lyrik und Drama, ist sehr bedeutend und sein Umfang wol kaum zu ermessen. Was hat nicht Boccaccio, der freilich nicht blos Märchenstoffe aufzeichnete, an Shakspeare, an Bürger u.s.w. für Material geliefert! Noch neuerdings sahen wir auf dem leipziger Theater eine berliner Posse: „Guten Morgen, Herr Fischer!“ welche noch immer deutlich an einen Schwank in Boccaccio's „Dekameron“ erinnert, der folgende Ueberschrift führt: „Die Frau eines Arztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für todt in einen Kasten, welchen zwei Wucherer wegstehlen und nach Hause tragen. Dort erwacht er, und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Dame sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, welchen die Wucherer gestohlen hätten. Auf diese Art entgeht er dem Galgen, und die Wucherer werden des gestohlenen Kastens halber zu einer Geldbuße verurtheilt.“ Der Kasten, der Arzt und die Magd - eine köstliche Rolle der Frau Günther-Bachmann in Leipzig - finden sich noch in der berliner Posse; der Ehebruch war beseitigt und klang nur noch in einer sehr komischen Scene mit der Frau des Arztes durch, welche auf einem Misverständnisse von Seiten dieser Dame beruht. Das Stück war übrigens nach dem Französischen selbständig gearbeitet, und er wird sich dort, da der Ehebruch jetzt in der französischen Literatur für die eigentliche Würze des Lebens gilt, vielleicht noch finden. - Auch die wiener Possendichter, Raymund und Nestroy, haben offenbar viele Märchenstoffe benutzt; so z.B. entspricht „Der böse Geist Lumpacivagabundus“ dem Grimm'schen Märchen Nr. 182: „Die Geschenke des kleinen Volkes“, und dem ersten Märchen im Anhange zu Emil Sommer's „Sagen aus Sachsen und Thüringen“ (1846), betitelt: „Der Berggeister Geschenke“. Die Musik und das Wirthshaus in den beiden Märchen, sowie der Name „meine Margret“ bei Sommer, und vielleicht auch der Ausdruck „angenehmer Gegenstand“ bei Grimm könnten freilich als Reminiscenzen aus der Posse in das Märchen gekommen sein. Im Uebrigen hat diese die Geschenke des kleinen Volks in das große Loos verwandelt. Im Allgemeinen deutet die Nennung eines gewöhnlichen Vor- und Zunamens, wie hier z.B. bei Sommer „Margaret“, wol immer auf irgend eine wenn auch nur ganz unbedeutend eingreifende Erinnerung an Bücher oder auch an das Theater. Manche gewöhnliche Namen erscheinen aber durch Beiwörter wieder echt märchenhaft, z.B. der eiserne Heinrich und Ferenand getrü bei Grimm. Befremdend und merkwürdig ist in unserm ersten Märchen die Zusammenstellung des Namens Adelheid mit zwei seltsam gebildeten, ihm aber entsprechenden Märchennamen: Bärenheid und Wallfild. Die Nennung historischer Namen erklärt sich von selbst, kann aber im Märchen wol im Allgemeinen nur stattfinden, wo die räumliche Entfernung vom Schauplatze eines Helden so groß ist, daß die Erinnerung an die historische Person nicht der Ortssage zufällt, und wo auch eine nähere politische Beziehung nicht stattfindet, denn sonst würde sie der Geschichtssage zufallen. In preußischen Gegenden sind durch die Sammlungen von Tettau und Temme schon Zieten und der alte Dessauer als Personen, auf welche Sagen übertragen sind, nachgewiesen. (Vergl. unten S. XXXII und XXXIII.) Am wenigsten hat die Nennung von Ortsnamen zu bedeuten. Gewöhnlich werden ein paar große Städte genannt, deren Umfang mächtig auf die Phantasie einsamer Landbewohner wirkt. So auf dem Oberharze ganz naturgemäß gewöhnlich Hamburg; wenn in der ersten Abtheilung von Nr. 62 Wien genannt wird, so mag dabei freilich irgend eine, wenn auch nur leichte, fremdartige Einwirkung mit unterlaufen. Näher liegende Orte, namentlich in Nr. 6 unserer Sammlung die Stadt Stolberg, werden genannt, weil man sich durch einen einzelnen Zug des Märchens flüchtig an eine Ortssage, auch wol an einen geschichtlichen Zug erinnert fühlt, hier an den Glockenguß von Stolberg, der, wenn wir nicht irren, ähnlich von Breslau erzählt wird. - Die Nennung der Namen entfernter Länder, wo die Märchenhelden Könige und Königinnen werden, hat natürlich gar nichts zu bedeuten.
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