Wer sich auf chinesische Landschaftsmalerei einläßt, lernt das Fliegen. Der Grund ist eine perspektivische Besonderheit: Der Punkt des Beobachters ist stets erhöht, keine Vogelperspektive, doch so gewählt, als stünde der Maler auf einem Hügel oder wäre gerade dabei, sich wie der Luftschiffer Giannozzo in die Lüfte zu erheben. Ein Objekt, gerne ein Baum, bildet einen schon etwas fernen Ankerpunkt im Vordergrund, ein Berg im unscharfen Hintergrund erzeugt Ferne und Festigkeit zugleich und dzwischen fließt ein Gewässer - das chinesische Wort für Landschaftsmalerei ist shanshui, was 'Berg und Wasser' bedeutet. Den Horror vacui der europäischen Malerei kennt der chinesische Maler (und im Gefolge der japanische und koreanische) nicht, leerbelassene Flächen sind ein wichtiges Gestaltungsmittel, das den Eindruck schwebender Unendlichkeit noch verstärkt. Die Malerei der europäischen Moderne verdankt dieser Methode, die in der Song–Zeit um 1000 nach unserer Zeit herum zur Vollendung entwickelt wurde, mindestens soviele Anregungen, wie der afrikanischen Plastik, die für die figurative Malerei eines Picasso oder der Expressionisten zu einer Initialzündung wurde. Und der Kunstgriff des leeren Raums wird auch in anderen Künsten, etwa den Musikstücken Weberns oder der Lyrik des Vortizismus zum prägenden Stilmittel, man kann von einer Emanzipation der Stille sprechen. Muss man aber nicht. Doch das Stichwortfenster musste gefüllt werden.
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