CREMASTER CYCLE
»Nur die perverse Phantasie kann uns noch retten«, so befindet die Kunstkritikerin Nancy Spector im Ausstellungskatalog zu Barneys Zyklus, und dies ist wahrlich die beste Haltung, um sich dem ebenso kryptischen wie faszinierenden Werk Barneys zu nähern. Insgesamt bilden die fünf Teile des Zyklus eine Art Schöpfungsmythos, in dem Barney viel zusammenbringt, was normalerweise kaum miteinander vereinbar ist: Die Geschichte des berühmten Motorradrennens auf der Isle of Man sowie Busby Berkleys Choreographien mit Meilensteinen der amerikanischen Geschichte wie der Errichtung des Chrysler-Buildings, keltische Schöpfungsmythen mit Elementen des Westerns und der wahren Geschichte des Mörders Gary Gilmore und dessen behaupteter Verwandtschaft zum großen Magier Houdini. Nebenbei bevölkern bizarre, hermaphroditische Mischwesen die Szenerie, perverse Gottheiten, platinblonde Pin-ups, ungarische Diven, Freimaurer und andere Absonderlichkeiten. Und immer wieder taucht der Künstler selbst auf, in vielfacher Gestalt, ein polymorph-perverser Master of Ceremony, narzistisch, phantasievoll, ein postmoderner Jäger und Sammler von Geschichten und Geschichte. Und ebenso vielfältig sind auch die cineastischen Bezugsgrößen, die sich in diesem Zyklus ausmachen lassen: Jean Cocteau, Stanley Kubrick, David Cronenberg gehören ebenso dazu wie Luchino Visconti oder Busby Berkeley.
Matthew Barney, im »bürgerlichen« Leben mit der isländischen Sängerin Björk verheiratet, war vor seiner Karriere als bildender Künstler ein erfolgreicher Footballspieler, und so ist es auch kein Wunder, dass ein Muskel, eben jener Cremaster dem ganzen Zyklus seinen Namen gab – der so genannte Hodenheber-Muskel, der je nach Temperatur oder Erregungszustand seinen Dienst verrichtet. Cremaster ist die filmische Reise in ein ganz eigen- und einzigartiges Universum, dem man sich sowohl auf intellektuelle als auch auf rein emotionale Weise nähern kann, ein Trip in die befremdliche Welt des Matthew Barney.
(netzfund)
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