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Gettys schrieb am 14.5. 2003 um 17:19:23 Uhr über

Hochmittelalter

Eike von Repgow

Verfasser des Sachsenspiegels

geb. um 1180
gest. nach 1233

Bild: Universitätsbibliothek
Heidelberg
Kaum ein hochmittelalterlicher Schriftsteller hat sich der Nachwelt durch andere Zeugnisse denn seine Werke empfohlen. Über die meisten Autoren ist wenig mehr bekannt, als was sie in ihren Büchern, eingebettet in Devotionsformeln, an Auskunft über ihre Person lancieren.
Erst mit dem Übergang von mündlich vermittelter Dichtung zu schriftlich fixierter Literatur kann man überhaupt einen Verantwortlichen für das Geschriebene ausdeuten. Dabei verstehen sich die spätmittelalterlichen Autoren nicht als Urheber, als kreative »Hervorbringende« eines Werkes. Sie fühlen sich eher als Sammler und Überlieferer, als Ohr und Mund der Tradition.
Dies gilt auch für den Verfasser eines der ältesten deutschen Rechtsbücher, Eike von Repgow. Spärlichen urkundlichen Erwähnungen kann man entnehmen, dass er um 1180 geboren wurde und, da er nach 1233 in keinem Schriftstück mehr genannt wird, in den Jahren nach 1233 gestorben sein muss. Er entstammte einem edelfreien Geschlecht, das seinen Namen nach dem Dorf Reppichau bei Dessau führte. Zwischen 1209 und 1233 benennen die Urkunden Eike, häufig im Gefolge des Grafen Heinrich von Anhalt, als Zeuge in Rechtsgeschäften. Sicheren Aufschluss über Stand und Beruf, Erziehung und Ausbildung gewähren diese kargen Informationen jedoch nicht. Allein das Werk lässt auf seinen Verfasser schließen: Die Beschaffenheit des »Sachsenspiegels« deutet darauf hin, dass Eike eine für seine Zeit überdurchschnittliche, weltliche Bildung besessen haben muss. Er erweist sich als politisch wohl informiert, in der Rechtspraxis erfahren und besitzt gute Latein- und Bibelkenntnisse. Darüber hinaus jedoch bleibt seine Vita Objekt der Spekulation.
Was aber hat es mit dem »Sachsenspiegel« auf sich, diesem wohl bekanntesten und wirkungsreichsten, Eikes Nachruhm begründenden Rechtsbuch? Welches Ziel verfolgte der Verfasser mit der langwierigen Niederschrift des zunächst auf Latein erschienenen und erst später mühsam ins Deutsche übersetzten Werkes?
Der Repgower gibt die Antwort in einer seiner Vorreden: Er will das ererbte, durch Tradition in seiner Vortrefflichkeit ausgewiesene Recht sammeln, um es zu bewahren. Sein Buch soll das Medium dieser gerechten Lehre sein, soll das Rechte jenseits von individuellem Nutzen oder Nachteil aufzeichnen, soll Berufungsmöglichkeit für Mächtige und Bedürftige bieten.
Durch die Verschriftlichung aber kann der Rechtsbestand von »modernen«, »verderblichen« Einflüssen freigehalten werden. Was Eike hier - als Privatmann ohne offiziellen Auftrag - unternimmt, ist der ehrgeizige Versuch, das über einen langen Zeitraum gewachsene Gewohnheitsrecht des sächsischen Raumes zur verbindlichen Quelle der Rechtspraxis zu machen: Wie den Frauen durch einen Spiegel ihr Antlitz bekannt würde, so solle durch den »Spegel der Sassen« das Recht der Sachsen allgemein publik werden.
In einer der vier dem Werk beigegebenen Vorreden entwickelte Eike seine Vorstellung vom Ursprung des Rechts: »Got is selve recht, dar umme is em recht lef.« Als erster Autor weltlicher, mittelalterlicher Rechtsliteratur gibt Eike damit eine metaphysische Begründung des menschlichen Gesetzeswerkes: Gott ist die Quelle allen Rechts. Das geistliche Recht wird durch die Kirche und ihre Institutionen verkörpert, es regiert die Seele, der Arm des weltlichen Rechts ist der Kaiser, seine Autorität regiert den Körper. Diese Zweiteilung wird zum Grundsatz des gesamten Sachsenspiegels und zieht sich durch alle seine Teile hindurch. Ihren prominentesten Ausdruck findet die prinzipielle Trennung von geistlichem und weltlichem Einfluss in Eikes Stellungnahme zur Auseinandersetzung von regnum und sacerdotium. Die Machtrivalitäten zwischen Kaiser und Papst, die seit dem Beginn des Investiturstreites schwelten, hatten zur Zeit der Abfassung des Sachsenspiegels einen ihrer vielen Höhepunkte erreicht: Der Papst versuchte gänzlich neue Herrschaftsrechte zu realisieren, indem er ein Absetzungsrecht gegenüber dem Kaiser behauptete. Friedrich II. von Hohenstaufen auf der anderen Seite fand sich in keiner Weise bereit, den hegemonialen Anspruch des Nachfolgers Petri anzuerkennen. Er konnte sich dabei auf Überlieferungen der Kirchenväter stützen, denen beide, Papst und Kaiser, als von Gott eingesetzt galten. So aber mussten auch die je voneinander abgegrenzten Herrschaftsbereiche als unanfechtbar und unabhängig angesehen werden.
Eikes oben skizzierte Rechtsauffassung unterstützt genau diese Auffassung. Auch er geht davon aus, dass Papst und Kaiser unmittelbar von Gott mit den symbolischen Schwertern ihrer Herrschaft ausgestattet worden sind - das Vormachtstreben des Papstes konnte sich auf keinen Rechtstitel gründen.
Die Bedeutung des Sachsenspiegels für die Rechtspraxis auch nachfolgender Jahrhunderte wird flankiert von seinem Stellenwert als historische Quelle. Sowohl die Alltags- als auch die Sozialgeschichte profitieren von der reich überlieferten sozialen Praxis, die der Sachsenspiegel als Rechtskodex spiegelt. Die Konfliktregelungen um 1200 sind eben nicht nur von dogmatischem Interesse. Sie bilden zur gleichen Zeit Herrschaftsverhältnisse ab und verweisen auf Kompetenzstreitigkeiten. In Eikes Fall informieren die Rechtssprüche implizit über die soziale und ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung im Elbe-Saale- Gebiet, über die Lebensumstände gerade der bäuerlichen, dörflichen Einwohnerschaft.
All das aber interessiert erst den nachgeborenen Historiker; die Dogmatik, die Tradierung von Rechtssprüchen lässt sich von der geschichtlich gebundenen Genese des Rechts nicht beeindrucken. So geriet der Sachsenspiegel alsbald in die Rolle eines Prototypen, der den rechtlichen Regelungsbedarf der Menschen auf lange Sicht abzudecken versprach. Nicht lange nach seinem Erscheinen wurde er zur Vorlage weiterer Rechtsbücher: des »Spiegels deutscher Leute« und des »Schwabenspiegels«. Er existiert heute in zahlreichen Handschriften, die ihren Weg nicht nur bis an den Niederrhein fanden, sondern als Handgepäck deutscher Siedler sogar bis nach Ostmitteleuropa gelangten. Einzelne Bestimmungen wurden in nord- und ostdeutsche Stadtrechte übernommen, als subsidiäre Rechtsquelle blieb der Sachsenspiegel in Sachsen bis 1863, in Anhalt und Thüringen bis 1900 in Kraft.
Die Privatinitiative eines Rechtskundigen des 13. Jahrhunderts wurde durch den praktischen Gebrauch seines Buches belohnt. Eike von Repgow wollte den Schatz des Wissens teilen, um ihn zu mehren - die Strahlkraft seines Werkes bezeugt die Erfüllung dieses Wunsches.
Literatur:
* Eike von Repgow, Der Sachsenspiegel, hrsg. von Clausdieter Schott, Zürich 1996.
* Der Sachsenspiegel in Bildern, Aus der Heidelberger Bilderhandschrift ausgewählt und erläutert von Walter Koschorreck, Frankfurt/ Main 1976.




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