Die traditionelle Auffassung, die Historik habe die Frage zu beantworten, »wie es wirklich gewesen ist« (Ranke oder Mommsen?) wurde zunächst abgelöst durch die schon recht anmaßende Anschauung, die Gegenwart als logische Konsequenz ihrer Vorgeschichte zu erklären, was nämlich implizit voraussetzt, daß es eine Art von »Plan« des Weltgeschehens und der Weltgeschichte gäbe - in der marxistischen Historik natürlich eine Selbstverständlichkeit. Am krudesten indessen ist der seit etwa 1990 feststellbare, durch den Nationalsozialismus geprägte deutsche Sonderweg, wonach es die vornehmlichste Aufgabe der Historik sei, nach Art einer Anklagebehörde festzustellen, wer alles und woran ganz konkret schuld war. So kommt man zu nichts. Die einzig sinnvolle Betrachtung von Geschichte ist meiner Meinung nach immer noch diejenige, die Macchiavelli seinen »Discorsi« vorangestellt hat: aus den Erfahrungen der früheren Generationen zu lernen und dabei zu helfen, Antworten auf die konkreten Fragen und Ansprüche der Gegenwart zu gewinnen - oder, wie es Winston Churchill, selbst ein unverächtlicher Historiker, so schön auf den Punkt gebracht hat: »Je tiefer wir in die Vergangenheit blicken, um so weiter schauen wir in die Zukunft.«
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