Ob dieses Versprechen wörtlich erfüllt worden, wissen wir nicht; wohl aber, daß im Mai 1774 das Trauerspiel „Clavigo“
– denn Goethe hatte es angezeigt gefunden, der dramatischen Verwickelung eine tragische Wendung zu geben – in raschem Zuge niedergeschrieben wurde, so daß am 1. Juni der Dichter die Beendigung seiner Arbeit brieflich einem Freunde melden konnte. Ein anderes in Prosa geschriebenes Trauerspiel, „Stella“, dürste wenigstens in seinen Anfängen ebenfalls in diese Zeit zu setzen sein, welche aller Herzensunruhen, Zerstreuungen und Wanderungen unseres Wolfgang’s ungeachtet eine Zeit vielseitigsten Empsangens und regsten Schaffens gewesen ist. Er schrieb damals das heitere Singspiel „Erwin und Elmire“ voll lcichthinfließender Melodie, er versuchte sich im Balladcntone („Der König von Thule“ – „Der untreue Knabe“), er stiftete mit tiefempfundener Pietät und den guten alten Knittelreim schön wiederum zu dichterischen Ehren bringend und literaturfähig machend dem trefflichen Meistersänger von Nürnberg ein unvergänglich Denkmal („Hanns Sachsens poetische Sendung“). Wenn Freund Merck den „Clavigo“ und die „Stella“ wirklich als „Quark“ bezeichnet hat, wie ihm Goethe nachsagt, so that er hinsichtlich des erstgenannten Drama’s entschieden unrecht. Der Clavigo ist sicherlich eines dor bühnengerechtesten und wirksamsten deutschen Stücke und die Figur des Carlos einer der lebenswahrsten, in sich geschlossensten Charaktere, die jemals von einem deutschen Dramatiker geschaffen wurden. Zugleich mag man in -diesem Charakter eine psychologischbiographische Merkwürdigkeit erblicken, insofern derselbe deutlich darthut, daß in seinem Schöpfer doch schon zu dieser Zeit, inmitten von all dem Sturm und Drang, jener Weltverstand sich zu entwickeln begonnen hatte, welcher aus den Werken Goethe’s jeden Kenner und jede Kennerin von Welt und Menschen so sympathisch anspricht. Im klebrigen hat der Dichter den Clavigo für eine Ergänzung der im Götz abgelegten Beichte seiner an Friederike Brion begangenen Sünde erklärt. Die „Stella“ geben wir preis. Es zucken darin wohl einzelne blendend prächtige Blitze der Leidenschaft auf, deren Naturwahrheit beweist, daß wir es auch hier mit einem Stücke goethe’scher Consession zu thun haben; aber das Ganze ist doch nur ein künstlich überwürztes Residuum der Wertherei und hat einen – einen – wie soll ich sagen? nun ja, einen mormonischen Beigeschmack.
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