STORY OF JESSI AND PAUL
Jessica sah Paul lächelnd an. Auf den ersten Blick sah er immer noch seinen Jugendschwarm vor sich. Die Schwangerschaften und vielleicht auch die Lebensführung hatten Jessicas Körper allerdings schon stark verändert. Selbst das Gesicht wirkte irgendwie disproportionierter.
Paul hatte sich ganz gut gemacht. Er war zwar keiner dieser muskelbepackten, rauen Türstehertypen geworden, auf die Jessica damals so stand, aber er war inzwischen seine Streberbrille und die Hautprobleme losgeworden. Offenbar verbrachte er mehr Zeit Outdoor, das erkannte man eindeutig an seiner Haut. Er sah auch irgendwie jünger aus als sie erwartet hätte, gestand Jessica sich ein. »Oh«, erinnerte Jessica sich, »er war ja auch tatsächlich jünger. 1 Jahr oder höchstens 2«. Doch das erklärte ihrer Meinung nach nicht den Unterschied in der Erscheinung. Das Paar sah sich immer noch wortlos in die Augen, während Paul nebenbei die Tür zu seinem Hotelzimmer öffnete. Während die beiden eintraten, brach Jessica das Schweigen, »das war ein toller Abend«.
Paul warf ihr einen kritischen Blick zu. »Du siehst wirklich gut aus«, fügte sie hinzu. Sie stellte sich neu hin, versuchte dabei sexy zu wirken. Auch Paul merkte sie seine Anspannung an. Ihre Schuhe waren sehr unangenehm, aber taten ihre Wirkung. »Wenn dieses Kleid doch nicht so spannen würde. Ich hätte mir lieber dieses eine aus dem Angebot holen sollen«, ärgerte sie sich gedanklich.
Ursprünglich wollten sie sich ja nur Treffen, um alte Erinnerungen aufzufrischen. Jessica ahnte nicht, wie gut das Treffen laufen würde. Während Paul sich an der Bar zu schaffen machte, nutzte Jessica die Gelegenheit, das Hotelzimmer anzuschauen. Sie schlussfolgerte, »kein großer Luxus, aber schon was anderes als dieser Max mit seinen Absteigen. Auf jeden Fall eine Klasse besser als Alex, wenn der wieder besoffen auftaucht, um das gesamte Haus zusammenzuschreien, wenn er sein Kind sehen will«. Beim Vergleich zwischsen Paul und Alex musste sie lachen. Paul hatte das bemerkt. Der Gedanke, sie würde über ihn lachen, kam ihn in den Sinn. Er reichte ihr wortlos ein Glas, kunstvoll verziert. Sie nippte erst mal vorsichtig daran. Sie war überrascht. Mit so harten Getränken hatte sie bei Paul eigentlich nicht gerechnet. Kein Vergleich zu Alexs Dosenbier.
»Du hast dich ja ganz schön verändert seit unserer Schulzeit. Deine neue Art gefällt mir«, stellte sie fest. Paul war unsicher, Jessica bemerkte das, auch wenn er selbst gar nicht mitbekam, wie deutlich das zu sehen war. »Danke«, er nickte. Paul hatte das alles schon hundert mal im Kopf durchgespielt, aber hier, neben Jessica war er einfach wieder der unsichere Junge von damals, der sie im Stillen verehrte. Jessica selbst dachte einfach, er hätte sich seit damals charakterlich nicht verändert. Das wurde Paul auch langsam klar.
Sie ertappte sich bei dem Gedanken, »schade, dass Paul nicht schon früher Kontakt mit mir aufgenommen hat, das hätte den Beziehungskrach mit Max erspart... und wahrscheinlich auch viel anderen Mist in meinen Leben«. Max, Jessica musste an die Beziehung zurückdenken, einerseits war sie ihn gegenüber unfair gewesen. Er wollte nur eine Beziehung und sie... Andererseits hatte er mit Sicherheit auch andere, zumindest am Anfang. »Möchtegern-Playboy. Und nachher heult er rum«, dachte sie.
Aus dem häßlichen Entlein Paul war jetzt ein schöner Schwan geworden und nun wurde Jessica dafür belohnt, dass sie schon damals mit ihn flirtete. Er war damals auch irgendwie süss, hang total an ihr aber traute sich nie was zu sagen.
Jessica ergriff die Initiative, während Paul versuchte sich Mut anzutrinken. So waren Typen wie er oder Max eben, schon lustig. Die Beiden näherten sich den Schlafzimmer. Jessica versuchte Paul noch einen möglichst aufregenden Blick zuzuwerfen und hatte damit nach ihrer Ansicht auch erfolg. Paul dagegen nahm in diesen Augenblick nun deutlich wahr, wie sehr sich Jessica doch verändert hatte. Das Kleid wölbte sich unter ihren großen Bauch. Das Gesicht war gealtert, das bemerkte er vor allen Dingen am starken Makeup.
»Warte«, unterbrach Paul. Er sah ihr jetzt direkt ins Gesicht. »Ich muss dir noch drei Kleinigkeiten mitteilen, Jessica«. Sein Herz wurde weich beim Blick in ihr überraschtes Gesicht. »Klar«, dachte er sich, » das habe ich mir unzählige Male gewünscht. Doch damals war ich jünger... und auch wenn ich mich schämen sollte so zu denken, damals war auch sie jünger«.
»Erstens«, gegen seinen Willen fing er an, eine Liste zu erstellen, »ich will fair zu dir sein, auch wenn es dann vielleicht hier endet. Ich suche eigentlich grade nichts ›Festes‹ im Moment. Weißt du, ich war bis vor Kurzem noch in einer Beziehung. Ein nettes Mädchen aus Hamburg.«, er erzählte ein wenig aus der Beziehung und schloss, »alles lief gut, wir machten gemeinsam Urlaub und wollten sogar zusammenziehen, sie stellte mich ihrer Tochter vor... bis ich dann erfuhr, dass sie mich betrogen hat... ich kam mir so verarscht vor. Deshalb will ich das hier erst Mal locker angehen lassen. Also, gemeinsame Zeit genießen, sehen, wohin sich das hier entwickelt. Okay?«
Jessica hatte sich während seiner Rede auf die Unterlippe gebissen. Mit einem Schlag wurde Paul interessanter, schwerer zu durchschauen. So etwas hätte sie den jungen Paul niemals zugetraut. »Wenigstens nicht so ein Loser wie Max«, schoß ihr durch den Kopf, doch auf der anderen Seite erinnerte sie die Geschichte leider auch ein bisschen an ihre Beziehung mit ihn. Sie nickte nur automatisch, während sie nachdachte. Ihr war noch gar nicht voll bewusst, was sie da zugestimmt hatten, aber sie wollte diesen neuen Paul unbedingt kennenlernen.
Er sprach weiter, »zweitens, sorry wenn ich das ansprechen muss, schlechte Erfahrung, ich will nicht der ›neue Daddy‹ sein. Du verstehst, kein ›Kinder guckt mal, euer neuer Vati‹ oder sowas. Die bemühen sich dann, mich zu akzeptieren und dann wird es doch nichts«. Jessica versuchte dem gedanklich zu folgen. Sie war noch immer völlig außer sich wegen dem ersten Punkt.
Während sie dem nur aus einem Gefühlschaos heraus zugestimmt hatte und noch zweifelte, war die Zustimmung zum zweiten Punkt nur logisch, alles andere wäre gemein für die Kinder. Sie stimmte zu.
»Drittens«, Paul holte tief Luft, »ich hoffe, du missverstehst mich nicht... Ich kann dir ja Geschenke machen oder dir ein bisschen helfen, aber... ich werde dir nicht deine Schulden bezahlen oder sowas«. Schrecksekunde.
Jessica verlor die Kontrolle über ihr Geschicht. Fing sich schnell wieder. »Paul, so eine bin ich doch nicht!«, antwortete sie nur. »Oh doch«; dachte er, »ich erinnere mich noch, damals. ›Du bist so ein Computerfreak‹, hast du gesagt und als ich deshalb traurig war fügtest du hinzu, ›aber die werden später mal reich und das ist sexy‹«. Und solche Bemerkungen hatte sie öfter gemacht.
»Also, ist es okay?« »Ist okay für mich«, Jessica Antwort kam prompt, »hab ich doch gesagt. Glaubst du echt, das Letzte ändert alles oder wie«? Sie versuchte ihren anfänglichen Schreck mit Humor zu überspielen. »Du warst doch früher schon immer so klug«, sagte sie lachend, »und heute, weißt du endlich auch was du willst«. Er griff ihr an die Taile und zog sie näher. Sie fuhr ihn durch die Haare, kein Vergleich zum Halbglatze von ihren Ex Max: »Es ist schon lange her, dass ich Zeit nur für mich hatte. Du weißt schon, ohne die Kinder. Auch Mütter haben...« Sie konnte den Satz nicht mehr beenden, Paul begann sie zu küssen.
SONNTAG, der nächste Morgen.
Jessica war wieder gegangen. Die beiden hatten sich für nächsten Samstag verabredet. Es gefiel ihr so, nach ihrer Aussage.
Paul griff nach seinem Smartphone als sie weg war. Er rief seinen alten Freund an.
»Hallo Max«, begann er. Von der anderen Seite wurde es lauter, »und? Hast du deine erste große Liebe zurück«? »Ach, du weißt, so war das nicht. Ich hatte nie was mit ihr. Ich habe nur mit ein paar anderen Jungs davon geträumt, während sie die Aufmerksamkeit genoss«.
Max snaufte. »Da scheint ja nicht so viel geändert zu haben«, fluchte er. Paul war noch in Gedanken: »Wie habt ihr euch kennengelernt damals«? Einige Zeit war Max leise, dann begann er, »ich habe so eine Kontaktanzeige geschaltet... So, von wegen ›Milfs gesucht‹... Natürlich nicht so, eher ›Mann in guten Verhältnissen sucht Blabla Frau, Kinder kein Problem‹ auf eine der einschlägigen Seiten... Weil ich wegen dem Projekt doch nach Bremen rüber sollte. Besser als einen Begleitservice... und die ›mit Anhang‹ suchen eben eher so, die können ja wegen der Kleinen nicht spontan raus. Anfangs dachte ich, ›so anders als die Fotos‹, aber irgendwie habe ich sie ins Herz geschlossen«. »Alles klar«, bemerkte Paul sarkastisch.
»Die Basis dieser Beziehung war schon irgendwie klar, sie suchte eben was ›Großzügiges‹. Daraus wurden dann Shoppingtouren, Familienausflüge und so. Ich dachte schon, da wäre vielleicht wirklich mehr«, erzählte Max.
»... und dann hat die Sch_Lampe micht betrogen. Ich war so dämlich, ich habe sogar einen Detektiv angeheuert, weil ich ihr glauben wollte. Wie konnte ich so dämlich sein? Es war für jeden offensichtlich! Und anschließend habe ich mich bei dir ausgeheult und du hast sofort geflemmt, als du das Foto gesehen hast«.
»Jedenfalls hat mir das sehr geholfen, danke«, antwortete Paul. Max lachte am Telefon. Eindeutig, die beiden waren in der Kiste.
Jessica wurde schon um 7 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Ihre kleine Tochter stand am Bett, sie und ihr Bruder hatten sich wohl irgendwie gestritten. »Sag ihn, er soll sich entschuldigen«, befahl sie. Der Alkohol und der Schlafentzug kämpften grade darum, weswegen es ihr am Schlechtesten ging. Zu allem Überfluss lag neben ihr auf den Bett noch ihr Kleid und erinnerte sie daran, wie verdammt schwer es war, sich gestern zweimal in das Ding zu quetschen. Sie hatte es damals auch nur gekauft, weil sie sich damals wünschte, bald reinzupassen.
»...und ich habe es zusammen mit Max gekauft, um diesen glatzköpfigen, untersetzten Idioten zu beeindrucken...«, die Erinnerung kam wie ein heftiger Kopfschmerz, »...statt froh zu sein, dass eine attraktive Frau so etwas für ihn tut...«, ein noch heftigerer Kopfschmerz löschte alle Gedanken aus. Das war fast schon angenehm. Dann kam ihr Sohn plärrend ins Schlafzimmer und erklärte, wie ungerecht ihre Entscheidung doch war, das seine große Schwester gemein war und so weiter. Gestern hat sie ihn schon bei Jana geärgert. »Och Gott, diese Göre muss ich ja auch noch fürs Babysitten bezahlen«, dachte sie. Jessica befahl ihren Sohn zu gehen und ihre Schwester sollte sich ebenfalls entschuldigen.
Jessica brauchte unbedingt ihren Schlaf, denn schon am Montag musste sie früh um 6 Uhr im Markt sein und zusammen mit ihrer Vorarbeiterin den Laden aufmachen.
»Filmriss«, sagte sie leise vor sich hin. Dann fiel es ihr wieder ein: Sie hatte die Nacht mit Paul verbracht, er war jetzt erfolgreich geworden und sah auch gar nicht mal so schlecht aus. Mit dem Erfolg hatte sie eh immer gerechnet, er war klug.
© Edition de Sahne 08.06.2020 'Grafshop'
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
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