24.10.2008 | 1 Kommentar Interview Klaus Theweleit & Rainer Höltschl
»Hendrix ist der verglühende Meteor«
Jimi Hendrix Qualitäten als Lyriker, Sänger und Songwriter wurden meist unterbewertet, finden Rainer Höltschl und Klaus Theweleit, die jetzt eine neue Biografie des Ausnahme-Gitarristen veröffentlichten.
Jimi Hendrix beim Popfestival 1970 auf der Ostsee-Insel Fehmarn.
Foto: dpa
taz: Herr Höltschl, Herr Theweleit, was haben Sie Neues über den 1970 verstorbenen Gitarristen Jimi Hendrix herausgefunden, das noch eine Biografie rechtfertigt?
Rainer Höltschl und Klaus Theweleit: Noch eine Biografie wäre höchstens gerechtfertigt als knappere Synthese der Riesenbiografien, die es von Shapiro/Glebbeek, Cross und Murray gibt.
Hatte er nun eine Affäre mit Brigitte Bardot oder nicht?
Klaus Theweleit, Jahrgang 1942, ist einer der wichtigsten deutschen Kulturtheoretiker (»Männer-phantasien«). Außerdem Gitarrist.
Rainer Höltschl, Jahrgang 1961, ist freier Autor und Übersetzer mit den Schwerpunkten Medientheorie und Musik. Beide leben in Freiburg.
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ZUR PERSON
Die Legende: Jimi Hendrix (1942-1970) hat die Rockgeschichte des 20. Jahrhunderts durch sein Gitarrenspiel und seine ersten drei Langspielplatten »Are You Experienced«, »Axis: Bold as Love« und »Electric Ladyland« entscheidend geprägt. Vor vierzig Jahren, am 25. Oktober 1968, wurde das Doppelalbum »Electric Ladyland« in Großbritannien veröffentlicht. Es gilt bis heute als eines der bedeutendsten Werke zeitgenössischer Musik und wurde seine einzige Nummer eins in den USA. Die kommerziell erfolgreichste Single aus dem Album: Bob Dylans »All Along the Watchtower«.
Das Buch: »Jimi Hendrix. Eine Biografie« von Klaus Theweleit und Rainer Höltschl (Rowohlt, Berlin, 252 Seiten, 17,90 Euro) erscheint am 1. November.
Fragen Sie Brigitte Bardot.
Ihnen geht es um mehr …?
Ja, die Würdigung von Hendrix Einzigartigkeit in mehreren Punkten: seine herausragende Bedeutung als Körperverwandler durch elektrifizierte Musik; die Würdigung seiner Qualitäten als Lyriker, Sänger und Songwriter, die meist unterbewertet sind; und auch die Gewichtung seiner Figur in den Lebenskontexten der 60er- und 70er-Jahre.
Es war nicht die Spieltechnik, die Hendrix heraushob, sagen Sie, sonst wäre er nur ein besserer Eric Clapton gewesen. Es war ein anderer Gebrauch des Instruments, mit dem er in die »Electric Skies« strebte.
Ja. Er empfand sich als ein Anderer, gekommen aus elektrischen Sphären, der den Hörer abholt und auch dort hinführt. Elektrisch heißt bei ihm nicht nur lauter und intensiver, er spielte tatsächlich auf dem Verstärker. Er schloss seinen Körper mit dem Verstärker und seiner Gitarre zu einer neuen Existenzform zusammen.
Hendrix-Musik hören, sagen Sie, führe zu Körperveränderung, etwas wandere aus dem Körper aus und treffe sich mit Hendrix musikalischen »Space-ships«. Aber nur bekifft?
Verschiedene Psychoanalytiker haben von etwas Drittem im Raum gesprochen, einem dritten Subjekt oder einem tragenden Medium, in dem sich die Körper von Analytiker und Analysand treffen. Wir nennen das den dritten Körper oder das Schwingungsobjekt und behaupten, dass dieser Vorgang sich bei jeder intensiven Berührung von Körpern mit Kunstprodukten abspielt oder abspielen kann. Bekifftsein ist nicht die Voraussetzung; bei Hendrix-Musik aber eine bestimmte Lautstärke. Sonst kommt das nicht.
Hendrix arbeitete Ihrer Analyse nach an der »physisch-elektrischen Erlösung ins Jenseits des eigenen Körpers«. Das war Ende der aufgewühlten 60er. Wie relevant ist das heute noch?
So relevant wie je. Noch haben die Leute Körper, nicht eine Matrix. Diese Körper wollen ein Jenseits von sich. Nicht ein Drüben, sondern diesseitige Verwandlung. Das nennt man Leben.
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Hendrix, der Lyriker, hatte es konsequenterweise mit Engeln, Gestirnen, Reisen durchs Weltall. Sind das Texte, die nur unter Drogen entstehen können?
Drogen auch; ab Ende 1966 gibt es so gut wie kein Konzert mehr ohne LSD. Aber ein Musiker wie Sun Ra mit seinem Solar Myth Arkestra und der Behauptung: »Im from Saturn« gelangte auch dahin, ohne große LSD-Dosen. Es ist die Selbstwahrnehmung dieser Musiker, nicht einfach Teil der Black Community zu sein wie die Blues- und Soulsänger.
Und auch nicht Teil des weißen Popmarkts?
Nein. Hendrix entsprechendes »Im from Mars« legt die Basis des eigenen Sounds in den »Weltraum«, ähnlich der »Sphärenharmonie« der frühen europäischen Musiktheoretiker. Bloß wollten die »Gottes Harmonien« gehört haben in Davids Sphärenharfe, so ähnlich auch noch Mahler zu seiner dritten Symphonie; während es Sun Ra oder Hendrix um das Außerordentliche, um das noch nie Gehörte der extraterrestrischen Klänge geht. Dieses schließt vor allem den Schrei ein und entfesselte Rhythmen, das Transgressive in der Musik. In den Texten affektive Vermischungszustände: Neue Körper »from out there«.
Indem Hendrix von der Norm westlicher Musik abwich, verstärkte er die Körperlichkeit, sagen Sie. Wie geht das?
Musik - nicht nur Rockmusik - ist prinzipiell die körperveränderndste Kraft unter den Künsten. Sie geht nicht nur ins Ohr, sie geht auf die Haut, sie geht direkt in die Muskulatur. In der westlichen Norm dabei oft als gewalttätig, zum Beispiel in der körperformierenden Marsch- und Stiefeltrittmusik. Jede Abweichung setzt dabei automatisch eine andere Körperformation. Musik kämpft um die Körper der Anhängerschaft, immer.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich der Droge Blutrausch, Rassismus, Auslöschung verschrieben, schreiben Sie. Die Elektrifizierung der Musik in den 60ern sei Kidnapping von Kriegsgerät zum Zwecke der Enteignung. Was heißt das?
Blutrausch, Rassismus, Auslöschung anderer wurden nach 1945 in Westeuropa erst mal abgesetzt, jedenfalls als Generallinie. Die Elektrifizierung im frühen Rock ab 1955 trieb die dazugehörige Generation, die erste nicht militarisierte Generation, auf Tanzflächen, Straßen und in Konzertsäle. Kritische Geister wie Friedrich Kittler haben das als Missbrauch von Militärgerät bezeichnet; denn die ganze im Rock eingesetzte explosive Elektronik wurde im Zweiten Weltkrieg zuerst als Kriegsgerät erfunden und entwickelt. Wir ersetzen das Wort Missbrauch lieber durch Kidnapping; denn für eine Weile funktionierte diese Enteignung in einem friedlich emanzipatorischen Sinn.
Dass die USA 1969 Astronauten auf den Mond schießen, war dem Weltraumforscher Hendrix egal. Warum?
Weil seine Musik bessere Wege zeigt, auf den Mond zu kommen; ohne Raketenquatsch. Diese tötenden Dinger in »Lippenstiftform«, wie er in einem Song formuliert, sind das fiese Gegenstück seiner eigenen Raumexplorationen.
»Have you ever been to Electric Ladyland« aus dem Titelsong des 1968 erschienenen Albums »Electric Ladyland« sei eine Zauberformel wie das »Please allow me to introduce myself« der Rolling Stones aus »Sympathy for the Devil«? Inwiefern?
Die Formel der Stones: Introducing myself as man of wealth and taste, als The Devil, als der Teufel persönlich, war die Übertretungsformel in alle Bereiche des Verbotenen. Die teuflischen kleinen Jungs und Mädchen tun nicht mehr, was Daddy and Mommie ihnen sagen. »Sympathy For The Devil« ist damit das Initiationsstück für alle Übertretungswilligen der 60er-Jahre. »Have You Ever Been To Electric Ladyland« erweitert das auf eine Art übermenschlichen elektronischen Körper hin; ohne dass etwa Roboterhaftes gemeint wäre. Nein, die elektrifizierte Gitarre als metamorphotische Kraft; hinein in den neuen Geschichtskörper der Menschheit.
Hendrix hat Frauen geschlagen. Ist das ein vernachlässigbares biografisches Detail?
Nein, absolut nicht. Die Spaltung bei ihm ist besonders krass: Verführer mit jungenhaftem Charme und großem Zärtlichkeitspotenzial; auf der anderen Seite Teil der farbigen Macho-Musikerszene, wo man zuschlägt, wenns nicht läuft. Die Aggressivität dann besonders gegen die vertrauten Frauen. Und er ist selbst geschlagenes Kind, vom Vater. Man wird so etwas nicht im Handumdrehen los.
Hendrix »ging« durch unzählige weiße Frauenkörper »durch«, schreiben Sie, dazu die schwarzen Frauenkörper seiner Kindheit und die Gitarrenkörper, die Körper des elektrischen Universums, alle benutzte er, geilte er auf, zerstörte er, im Streben nach, ja, nach was?
Vermutlich nach dem, was die Stones Satisfaction nennen; von dem keiner sagen kann, was es genau ist; weil es den Zustand der Befriedigung nicht gibt. Bei Hendrix wäre das am ehesten der Zustand des andauernden Spielens. Auf jeder Ebene, am allerliebsten aber Spielen im Studio auf und mit den neuesten elektronischen Equipments. Streben nach neuen Soundwelten; danach war sein Hunger unstillbar. Übrigens: Bei über 500 Auftritten zerstörte er nicht einmal zehn Gitarren; und verzehrt hat er vor allem sich selbst.
Sie sehen Hendrix in und nach seinem Tod von seinen Anhängern in einem Opferritual gebraucht wie die RAF. Wo ist der Zusammenhang?
Der RAF in der Absolutheit ihrer Ansprüche nach 1975 konnte niemand mehr folgen, ohne sich selbst auf einen potenziellen Selbstmordtrip zu begeben. So weit wollte in der Gefolgschaft der »Sympathisanten« aber kaum jemand gehen. Also musste die RAF irgendwie verschwinden, damit man in friedlichere Politikgewässer hinübergleiten konnte. Der Tod der RAF ist die Gründungsvoraussetzung von Grün als Partei. Mit der RAF im Rücken hätte man keine ökologischen Forderungen stellen, kein Green Peace machen können, keinen Parlamentarismus.
Und das Hendrix-Modell …
… war in seiner schließlichen Zuspitzung war auch nicht recht lebbar: die Verschlingung von höchster artistischer Radikalität, Drogenexzess, ins Überpersönliche reichenden Sexwahn und dazu Beharren auf der eigenen Außerweltlichkeit. Too much insgesamt. Wie übrigens auch bei Che Guevara. Der sollte auch weg - und wir denken, die Über- oder Weiterlebenden wissen etwas von diesem Opferungsprozess.
Ist für Sie Hendrix und nicht Dylan der herausragende Musiker der letzten fünfzig Jahre?
Als Musikerverwandler ganz sicher Hendrix; was wohl auch Dylan so sieht. Als Hendrix Dylans Stück »All Along The Watchtower« grandios elektrifizierte, hat Dylan Hendrix Version sofort übernommen. Dylan ist Familie, Kinder, Scheidung. Er ist die herausragendste Verkörperung von Figuren wie du und ich. Er kommt immer wieder, wie der Abendstern. Jimi Hendrix dagegen ist der verglühende Meteor mit der Nachricht vom Ungeheueren.
INTERVIEW: PETER UNFRIED
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