Gleichberechtigt neben Marsh Tracy war Ulrike Meinhof das große Idol meiner Grundschulzeit. Maßgeblichen Anteil daran daran hatte der Springer entsprungene Begriff der 'Baader-Meinhof-Bande', der mir ungleich sympathischer als deren selbstgewählter Name 'Rote Armee Fraktion' war. Armee, das klang nach einem anonymisierten Haufen gedrillter Totschläger, Fraktion war ein abstrakter Begriff, der eher nach Knochenbruch klang (Ich war in diesem Alter ein glühender Leser von Gesundheitslexika aller Art, diese frühreife Kenntnis hat mir manchen lästigen Schulgang erspart); Baader-Meinhof-Bande dagegen, das hatte den Geschmack von Bill Bo und Panzerknackern. Ich stellte mir die Mitglieder dieser ersten Generation stets weniger finster vor, als ihr Bild gezeichnet wurde, das bekannte Bild von Gudrun und Andreas, wie sie irgendwie groovy während des Kaufhausprozesses miteinander zu flachsen schienen, hatte maßgeblich dazu beigetragen.
Meine Eltern, in ohnmächtiger Liberalität mit den Launen ihres mutmaßlichen Stammhalters geschult, machten das Spiel mit säuerlichen Mienen mit; von mir verweigerte sauerländische Eintopfgrusligkeiten wurden mir schon einmal mit dem Hinweis »Du willst doch nicht enden wie Holger Meins« schmackhaft gemacht.
Aber über allem stand Ulrike, sie war die asketische Karen Carpenter-Version, die Seele des ganzen. Sie hatte Haare, wie sie meine ältere Schwester leider nie zu tragen sich erkühnte, und auf den Fahndungsplakaten (dabei fällt mir ein, ich müßte mal bei Ebay gucken, ob es die noch irgendwo gibt) sah sie immer aus wie eine Mischung aus Calamity Jane und meiner ersten Kindergärtnerin. Sicher, so stellte ich mir vor, war sie diejenige, die bei den konspirativen Treffen Gudrun und Andreas ermahnte, doch mal mit dem Tuscheln aufzuhören, und in den arbeitsfreien Wochen, wenn gerade Bundestagsferien waren, saß sie, so stellte ich es mir vor, an einem neuen Stück für das Grips-Theater. Ihre Schriften standen ordentlich nebeneinander in der ersten eigenen Wohnung meiner jüngeren Schwester, in der es immer so angenehm nach Indien roch, und wenn ich dort ein paar Stunden Urlaub von Mutter und Mainzelmännchen machte, blätterte ich mich durch diese rotgelumbeckten Wagenbach-Bände, berauschte mich an der exotischen Welt von Notstandsgesetzen und Black Panther-Bewegung, die mir aus diesen unverstandenen Texten entgegentrat, eine eigene, dritte Wirklichkeit neben Stones und Wellareklamenwelt evozierend. Ja, die Haare spielten wohl wirklich die Rolle dabei, die ihr bereits zuvor stattgehabtes Auftreten in diesem Text nahelegt: als sie Ulrike schließlich gekriegt haben, war das Schock genug, schlimmer als der Tod von Alexandra, meiner Großmutter und Jochen Rindt zusammen; aber dieses Pressefoto zu sehen, auf dem sie mit in der Rückschau fast punkigem Kurzhaarschnitt von zwei nur durch die Arme präsenten Bütteln vor die Kamera gezwungen wird, das war ein Schmerz, der mich noch heute phantomhaft durchzieht, wenn ich in der Presse über die 'mutmaßlichen' (für mich eines der Wörter dieser Zeit schlechthin) Hintergründe ihrer Schädeltrepanation lese. Daß es Selbstmord war, was ihr später nach der Zeit der Isolationsfolter (noch so ein Wort, daß in mir bleiben wird, wenn Lean Management und Stefan Raab längst vergessen sein werden) zugestoßen ist, ich will es nicht bestreiten. Aber damals ist etwas in mir gestorben und nahezu gleichzeitig auferstanden, das werden hundert Menüs in Jean-Claude Bourgueils Schiffchen nicht wieder ausexorzieren können, ein Nein, das lauter schwingt als alle klebrig-affirmative Süße des Status Quo in einer immer noch unbefriedigenden Welt. Konsequenzen? Zugegeben, nur bedingt. Eine davon ist die, daß ich diesen Beitrag geschrieben habe.
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