Kritik an Hartz IV
»Offensichtlich künstlich heruntergerechnet«
Fünf Euro mehr Hartz-IV ist der Opposition zu wenig. Sie spricht von Mauschelei, sozialer Kälte und setzt auf Blockade im Bundesrat. Doch davor warnt Schwarz-Gelb.
© Bernd Wüstneck/dpa
Statt die Hartz-IV-Sätze deutlich zu erhöhen, will die Koalition lieber in Bildungsangebote für Kinder von Langzeitarbeitslosen investieren
Die Opposition ist empört: Hartz-IV-Empfänger sollen nach den Plänen der schwarz-gelben Koalition künftig lediglich fünf Euro mehr bekommen. Dies sei ein »Kuhhandel zulasten der sozial Schwachen«, kritisierte die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig. Sie nehme der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht ab, dass eine solche Erhöhung den Vorgaben des Verfassungsgerichts entspreche.
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Bis heute halte die Ministerin die Datengrundlage für die Erhöhung unter Verschluss, sagte Schwesig. Jetzt werde »die notwendige Erhöhung des Regelsatzes offensichtlich künstlich heruntergerechnet«. Schwesig forderte von der Leyen auf, die Rohdaten endlich öffentlich zu machen, »denn dieser Bundesregierung können wir nach den Mauscheleien der vergangenen Monate nicht vertrauen«.
Union und FDP hatten am Sonntag eine Anhebung des Hartz-IV-Satzes für Erwachsene von derzeit 359 auf bis zu 364 Euro beschlossen. Deutlich mehr Geld soll nach der Vereinbarung der Koalitionsspitzen in Bildungsangebote für Kinder von Langzeitarbeitslosen fließen. Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände hatten eine Erhöhung der Sätze auf mehr als 400 Euro gefordert.
Der Satz für Kinder und Jugendliche bleibt dagegen gleich. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung im Frühjahr auferlegt, diesen Satz neu zu berechnen. Nachdem die Fachexperten nun neu kalkuliert hatten, hätte der Betrag eigentlich sinken müssen. Eine Kürzung unterließ die Koalition aber.
Angesichts der Diskrepanz bei dem Satz für Erwachsene äußerte sich der amtierende SPD-Fraktionschef Joachim Poß ebenfalls skeptisch. »Ich habe große Zweifel, ob bei der Berechnung (...) nicht getrickst wurde«, sagte Poß. Die nordrhein-westfälische Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD) bezeichnete die geringe Erhöhung als skandalös. Die Reform sei offenbar »Ergebnis eines Koalitionsgeschachers«, sagte Kraft. Es sei nur um Rücksichtnahmen und um die Kassenlage gegangen.
Kritik kam auch von den Gewerkschaften. »Die Befürchtung, dass die Regierung so lange gerechnet und gewichtet hat, bis ihr das Ergebnis politisch genehm war, kann man schon haben«, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Margret Mönig-Raane. Annelie Buntenbach von Deutschen Gewerkschaftsbund monierte, der Beschluss der Koalition lasse jeden Respekt gegenüber den Betroffenen und der Entscheidung des Verfassungsgerichts vermissen. »Wir fordern die Regierung dringend auf, in einem seriösen und transparenten Verfahren dafür Sorge zu tragen, dass das Existenzminimum nach Maßgabe der Menschenwürde ausgestaltet wird.« Die Bundesregierung müsse umgehend eine unabhängige Sachverständigenkommission einsetzen, sagte Buntenbach.
Wie schon zuvor die SPD kündigten auch die Grünen Widerstand gegen die Pläne an. »Fünf Euro mehr von einer Koalition, die in der Lage gewesen ist, mal eben eine Milliarde Hoteliers wie dem Herrn Mövenpick zuzuschieben – das ist soziale Kälte vom Schlimmsten«, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin. Der Parteivorsitzende Cem Özdemir klagte über das »unmoralische Koordinatensystem« der Regierung und kündigte juristischen Widerstand an: »So hat das Verfassungsgericht nicht entschieden, und so werden wir diese Entscheidung nicht hinnehmen«, sagte er. Jetzt werde genau geprüft, und dann entscheide der Bundesrat. Da habe ja Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr.
Bundesarbeitsministerin von der Leyen zeigte sich von der Kritik unbeeindruckt. »Die Sätze sind sehr gerecht«, sagte sie. »Das Statistische Bundesamt hat analysiert, was Menschen mit kleinem Einkommen monatlich ausgeben können, zum Beispiel Verkäuferinnen, Pförtner, Maler, Friseure.« Diese Berechnungen zeigten exakt, wo das Existenzminimum liege. »Danach richten wir uns ganz genau.«
Für eine Übergangszeit werde sich jetzt an der Lohn- und Preisentwicklung orientiert. »Das Verfassungsgericht hat uns verboten, Hartz IV weiter an die Rente zu koppeln.« In etwa drei Jahren gebe es einen anderen, besseren Maßstab. »Dann können wir erstmals jährlich messen, was Leute mit kleinem Einkommen wirklich ausgeben können.«
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Hartz IV | Sozialpolitik | Ursula von der Leyen | Opposition | Gewerkschaft | Arbeitslosigkeit Von der Leyen verwies zudem darauf, dass es der schwarz-gelben Koalition darum gehe, für Hartz-IV-Bezieher Arbeitsanreize zu schaffen: »Wir haben die Langzeitarbeitslosen, die Arbeit brauchen – jetzt lasst uns sie doch vermitteln.«
Unionspolitiker verteidigten den Reformplan gegen Vorwürfe der SPD und der Grünen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erinnerte daran, dass die heute gültigen Sätze von der rot-grünen Bundesregierung festgelegt wurden. »Solange Sozialdemokraten regierten, haben sie diese Sätze regelmäßig als auskömmlich und ausreichend verteidigt«, sagte Gröhe. Jetzt gebe es ein »Geschrei, ohne dass man sich die Zahlen im Einzelnen angesehen hat«. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte, die Berechnung beruhe auf objektiven Grundsätzen.
Die FDP warnte die SPD davor, die geplante Reform im Bundesrat zu blockieren. Damit würde sich die SPD »an den Beschäftigungschancen von Menschen und Bildungschancen für Kinder versündigen«, sagte Fraktionschefin Birgit Homburger. Die Koalition repariere mit der Reform, was die SPD seinerzeit bei der Einführung von Hartz IV »verbockt« und das Bundesverfassungsgericht »zu Recht moniert« habe. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegten, dass Forderungen nach höheren Regelsätzen »fachlich in keiner Weise vertretbar« seien.
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Kommentarseite 1 / 1
Leser-Kommentare
27.09.2010 um 8:07 Uhr
matzi02
1. nicht so einfach !
so wie 5 Euro im Monat natürlich Blödsinn sind waeren 50 Euro weniger im Monat für manche junge Notorische Arbeitsverweigerer vielleicht auch ein ordentlicher Ansporn ! Aber wie will man das im Einzelfall entscheiden?
Wir sollten aber nie vergessen das die 364 Euro Bargeld nur ein Bruchteil ist was ein Harz 4 Empfaenger die Steuerzahler kosten - und immer im Auge behalten das dieses Geld ohne Gegenleistung fliesst!
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27.09.2010 um 8:10 Uhr
Ingo Inländer
2. Niedrige Sozialtranfers, Begründung niedrige Löhne. TOLL!
Van der Leyen (vdL) begründete gestern in Anne Wills Anbrüllrunde die niedrigen Sozialtransfers - ich wäre mich diese Transfers nach einem Vorbestraften zu benennen - damit, dass ein Abstandsgebot zu den niedrigen Löhnen gewahrt sein müsse. Die Verarsche dabei ist, dass gerade niedrige Löhne eine Folge der Subventionierung des Staates sind, der diese niedrigen Löhne durch eben jene Transfers unterstützt. Gäbe es diese nicht bzw. einen Mindestlohn, dann wäre das Abstandsgebot gewahrt.
Hier wird Profilierung auf Kosten der sozialschwachen Menschen vorangetrieben, dafür geben diese Volkszertreter den Banken Milliarden, die sich dafür bedanken, dass sie ihren Managern gleich wieder Millionen auszahlen. TOLL :-((
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