Die Situation der heutigen Harmonik ist diese: einer zunehmenden 'Entgötterung' der Welt stellt die Harmonik eine 'Vermenschlichung' des Abstrakten, Naturhaften, Kosmischen, sowie eine Durchdringung des blutleer gewordenen Lebens und Denkens mit seelischen Energien gegenüber. (...) Der Harmoniker ist ergriffen von dem Gedanken, daß Mensch und Weltall in tönender Beziehung stehe, daß alles einen klanglichen, also seelisch faßbaren Sinn habe, daß Freude und Schmerz, mit dem uns das Schicksal nun einmal behaftet hat, auch aus dem Stein, der Pflanze, dem Tier in jenem wunderbaren Melos spricht, welches wir in unserer eigenen Brust empfinden. Es ist dies ein Gedanke, der nur ein einziges Mal festen Fuß gefaßt haben muß, um uns einen vollen Strom jener inneren Gewißheit, jener sinnhaften Ordnung zu schenken, mit der die Schöpfung von Anfang an begabt wurde.
Hans Kayser: Der hörende Mensch (1929), S. 46
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