Ertrage die Clowns! Aber wie?
Das Kabarett der achtziger Jahre war nicht tot, sondern leider nur untot. Heute ist es lauter denn je. Über den Humor im Deutschland des Jahres 2007.
Von Hilmar Klute
Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz: »Ertrage die Clowns!«
Voreilige sagen jetzt, ja, sicher, der Fest, das war ja auch ein ernster, mag sein, allzu ernster Zeitgenosse, der hat nicht sehen wollen, dass der Humor, die Satire, das große Lachen, nicht wahr, dass wir das alles zum Leben brauchen wie die Katze die lactosefreie Milch! Den Satz mit den Clowns hatte Fest übrigens von seinem Vater vermacht bekommen. Er bezog sich ursprünglich auf die Nationalsozialisten und ihr groteskes Tun.
Aber hat es nicht gerade in jenen Jahren auch verteufelt komische Künstler gegeben? Figuren wie Werner Finck, der während der Nazizeit das Kabarett »Die Katakombe« unterhielt und einmal einem Geheimen Staatspolizisten, welcher in der ersten Reihe saß und mit dem Eifer des Denunzianten die schnellen Pointen Fincks mitnotierte, die Sätze zurief: »Bin ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder muss ich mitkommen?«
Ein todgefährlicher Witz, von einem behaglich wirkenden dünnen Mann mit Brille gesprochen, dem nicht der blöde Schalk, sondern die blanke Angst im Nacken saß. Fincks satirisches Zeitalter war ein Minenfeld, und es ist - jaja - natürlich ein Glück, dass die Kabarettisten unserer Tage nicht mehr Leib und Leben riskieren müssen, wenn sie sich gegen die Mächtigen auflehnen, das sei gleich vorneweg gesagt, damit das Trapez von Missverständnissen freigeräumt ist.
Lustigerweise gibt es bei den Politikern inzwischen Kleinkünstler vom Schlage eines Christian Ude oder Norbert Blüm, und das zeigt ja auch schön, dass Humor und Satire heutzutage leicht und schnell machbar sind, sogar von Politikern, und sogar von solchen, die vorher den Leuten ganz ernst Rentenmärchen aufgetischt haben oder sich nicht um eine innovative Architektur in ihrer Stadt kümmerten.
Der satirische Werkzeugkoffer ist schnell ausgepackt, und wenn einer so flink ist wie der Franke Urban Priol, dann macht er abends sein Pointenmesserchen scharf und geht damit auf Sendung. Priol, ein Mittvierziger mit clownesker Halbglatze, lustigen halblangen Haaren, runder Spaßbrille und bunten Hemden, beginnt einen Monolog seiner ZDF-Kabarettsendung Neues aus der Anstalt zum Thema »Führungskrise bei den Grünen« mit der Frage: »Wo kann 'ne Krise sein, wo keine Führung ist?«
Witzig, was?
Nörgeln da nur Bösmeinende, dass jeder, der zwei Minuten lang über die Wörter Führungskrise und Grüne nachdenkt, auf diese pfeffrige Pointe kommen würde? Urban Priol ist ein typischer Vertreter jener gewaltigen Riege von Hobbykeller-Satirikern, die sich aus zerlegten Kom(m)ödchen behaglich Scherz für Scherz zusammenschreinern und das abgegriffene Zeug als frische Witzware verkaufen.
Schon der Titel »Neues aus der Anstalt« soll ja suggerieren, dass sich hier Komiker zusammenfinden, die sich selbst für ein bisschen verrückt halten; gleichzeitig will man den phantastischen Doppelsinn von Heilanstalt und Sendeanstalt vorführen. Diese heillosen Wortspielereien und das augenzwinkernde Geunke mit vermeintlich vielschichtigen Bedeutungsebenen sind im deutschen Kabarett einfach nicht totzukriegen. Der jährliche Satire-Lorbeer »Prix Pantheon« steht deshalb unter dem schwer selbstironischen Motto »reif und bekloppt«.
Ertrage einer also auch Georg Schramm, der Priol in der satirischen Schlacht gegen die Obrigkeit zur Seite steht. Schramms Lieblingsrolle ist die des deutschen Reaktionärs im Gewand des Invaliden, ein Menschentypus, der in der Realität so gut wie ausgestorben ist. Um also diesen Dombrowski darzustellen, zieht sich Schramm einen grauen Anzug an, streift einen Lederhandschuh über die rechte Hand, und keift von den »politischen Hampelmännern«, die uns in der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen.
Gestalten seien das, welche »in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten ihre Sprechblasen entleeren« dürfen. Das wahrhaft Tragikomische an diesen Halbheiten ist, dass das Gleiche für exakt diese Kabarettisten gilt. Schramm spielt den virtuosen Schimpfkünstler Bernhardscher Schule. Er möchte ein rasend böser Publikumsverächter sein, ein kompromissloser Zyniker, der auf höchstem Sprachniveau giftet.
Als reiche eine Verkleidung, um die Distanz zwischen dem Witzemacher und seinem Arbeitgeber glaubwürdig zu gestalten. Heutzutage wird sich im Kabarett ohnehin umgezogen wie nichts Gutes. Je unbeholfener die Satire, desto größer die Garderobe.
Eine derart abgewetzte Humorästhetik ist auch das schönste Indiz dafür, dass es sich das deutschen Kabarett heute wieder auf dem Spaß-Sofa der achtziger Jahre bequem gemacht hat - das war jene Zeit, als sich eine Legion von Komikern, Parodisten und Politclowns um die besten Kohl-Witze prügelte.
Damals bildete sich in der ARD-Sendung »Scheibenwischer« eine schon damals schwer erträgliche kabarettistische Konsensgesellschaft, die nie einen Zweifel daran ließ, dass die da oben korrupt und kriegslüstern sind, während die Scheibenwischer nur ihren messerscharfen Witz und ihre erschütternde Ohnmacht ins Feld führen können.
Auf diesem Ödfeld ist der Humor in Deutschland inzwischen - wir befinden uns schon lange im neuen Jahrtausend - also tatsächlich wieder gelandet. Und vermutlich schaut er neidisch auf die fruchtbaren Äcker, welche ihm andernorts bereitet werden. In Israel zum Beispiel, wo die jüdisch-amerikanische Komikerin Iris Bahr ihre große Entjungferungsreise durch Asien startet und auf die Frequentierung ihres durch schwaches Verkehrsaufkommen beleidigten »Gaza-Streifens« zählt.
Iris Bahrs ziemlich köstliches Buch »Moomlatz« (auf Deutsch bei Frederking & Thaler) ist auch hierzulande ein Verkaufsschlager, es möge also keiner sagen, wir Deutschen seien halt immer nicht so empfänglich für schwarzen, jüdischen Humor. Den großen amerikanischen und überaus jüdischen Komiker Larry David mit seiner Serie Curb Your Enthusiasm ordern Heerscharen unserer Landsleute auf DVD bei Amazon, was bleibt uns übrig. In England baute Sacha Baron Cohen den Leuten bequeme Brücken zum Antisemitismus, auf welche sie tumb tapsen und wo sie am Ende in ihrer ganzen Erbärmlichkeit zu besichtigen und zu belachen waren.
In seinem neuen Projekt »Bruno« wird er die Modeindustrie bloßstellen, alleine die kurzen Bruno-Exzerpte auf YouTube sind komischer als alles, was im deutschen Fernsehen eine Perücke aufhat. Von der BBC und ihren grandiosen Serien Little Britain oder The Extras zu schweigen, wäre nun vernünftig, weil man ja sonst gleich sehr traurig wird.
Das alles, und sei es mitunter noch so klamottös, ist nicht nur grundkomisch, sondern natürlich auch politischer als das Scheibenwischiwaschi im deutschen Fernsehen, und wir würden bestimmt auch wieder mit ganzem Herzen unser Kabarett lieben, wenn der teutonische Ich-gebs-jetzt-der-Merkel-Spaß endlich wieder Platz für den Menschenwitz machen müsste. Man darf nicht vergessen, dass es diese Humortradition bei uns mal gegeben hat.
Das Kabarett der zwanziger und frühen dreißiger Jahre lebte von Autoren und Kabarettisten, für die politischer Humor selbstverständlich auch die Pflicht zur Schamverletzung bedeutete. Da waren keine Kleinkünstler unterwegs, sondern Dichter wie Kurt Tucholsky und vor allem Walter Mehring, dessen höllische Revuen derart brilliante satirische Schlachtfeste abgaben, dass Goebbels selbst an die Schreibmaschine humpelte und gegen Mehring den Hassartikel »An den Galgen« schrieb.
Selbstironie war der Zündstoff für die Gesellschaftssatire - der später von den Nazis ermordete jüdische Komiker Grünbaum dichtete über die Verkürzung seines Vornamens zu Fritz: »Man gab mir den Namen nach unseren Sitten, das heißt, man hat mir - die Sache beschnitten.«
Nach dem Krieg waren viele dieser Genies umgebracht, vertrieben oder sie sind - wie leider auch Finck - in den Heimatfilmen der fünfziger Jahre verschüttgegangen. Es kam kaum was Vernünftiges nach. Und deshalb stehen wir jetzt wieder da mit unseren Politkaspern, von denen jeder Einzelne heute so viele Fernsehpreise einheimst, dass man bald neue Preise dazu erfinden muss.
Dabei wäre alles beinahe anders gekommen. In den mittleren neunziger Jahren, als Harald Schmidt gezeigt hat, dass der deutsche Humor auch einen fiesen, ungemütlichen, aber verführerischen Keller hat; dass man Witze über Polen, dicke Kinder und Asiaten machen kann, ohne dass es dabei vom Stammtisch 'rüberweht; in jenen Jahren sah es kurz so aus, als wäre der ganze Spuk vorbei.
Als könnte man das Gehampel eines Mathias Richling, das Gebelle eines Richard Rogler und die bayerische Deppenpose eines Bruno Jonas jenem tristen Zeitalter der vorhersehbaren, stubenreinen Pointendrescherei zurechnen, kurz: mit ihnen die Ära des sozialdemokratischen Kabaretts verabschieden und archivieren, falls spätere Generationen staunen möchten, was mal als frech und witzig galt. Humor im deutschen Fernsehen war bei Harald Schmidt nicht mehr doppelbödig, sondern endlich wieder bodenlos.
Kaum hatte Schmidt seine Humorkultur bis zur Austrocknung leergesaugt, waren sie alle wieder da, denn, das darf man nicht vergessen: Billiger als Schmidt sind Kleinkünstler für die Öffentlich-Rechtlichen, die sich plötzlich vorsichtig für ihre absurden Finanzausstattungen rechtfertigen mussten, allemal - wenn ja auch leider, zwinker zwinker, in mehrfacher Hinsicht.
Der Scheibenwischer, den der kluge Dieter Hildebrandt gerade noch rechtzeitig verlassen hatte, wurde endgültig zur Altenresidenz der Clowns von gestern. Seitdem darf sich Richling im Fernsehen wieder Perücken aufsetzen und Politiker nachmachen, der Entrüstungskünstler Rogler sich in Feldherrenpose werfen und den Leuten am Fernsehen sagen, dass ihm das Wasser wieder bis zum Hals steht wegen der deutschen Volksseele, der Intoleranz und weil die da oben alle elende Hunde sind.
Das Elend der deutschen Politkabarettisten ist, dass ihnen Selbstironie dabei so fremd ist wie der Zweifel an der Brauchbarkeit ihrer satirischen Instrumente. Schramm, Priol, Jonas, Richling und Rogler würden in sich zusammenfallen wie geplatzte Knalltüten, wenn sie an ihren geölten Satireapparaten auch nur eine Schraube drehen würden; wenn sie gar, wie Schmidt, ihr komplettes Genre in Frage stellten, wären sie verloren. Ihr Witz kennt nur eine Richtung, ihre Ironie wird nur durch hysterisches Augenzwinkern in Gang gehalten, und sie glauben ja allen Ernstes, auch wenn sie's natürlich jovial leugnen, Korrektive der Staatsmacht zu sein.
Ertrage die Clowns!
Aber wie? Vielleicht ist der deutsche Humor überhaupt nur noch in seiner völlig unpolitischen, pointenlosen und aasigen Spielart erträglich. Helge Schneiders debile Erzählungen, Harald Schmidts mutwillig zum Scheitern gebrachte Witze oder die asozialen Arien von Oliver Pocher, all dies könnte ein nochmaliger Beitrag zu jenem »Rettungsversuch Unsinn« sein, von dem Thomas Bernhard einmal geschrieben hat.
Schmidt und Pocher torpedierten in ihrer ersten Sendung den deutschen Korrektheitsfetisch mit dem »Nazometer«, der bei politisch unkeuschen Wörtern Alarm gibt. Sowie mit den Duschgel-Sorten »Arischer Frühling« »Musta-Fa« und »Anti-Fa«. Alleine bei »Musta-Fa« wäre Bruno Jonas vor lauter Augenzwinkern erblindet.
Aber muss man nicht, wenn man die ideologiefreie Komik lobt, auch solch rätselhaft grauenvollen Phänomene wie Mario Barth freundlich begrüßen, einen Mann, dessen Humor dem von betrunkenen Bundeswehrsoldaten ähnelt, der aber - vermutlich deswegen - im nächsten Sommer mühelos das Berliner Olympiastadion füllen wird?
Muss man dann nicht Michael Mittermeier feiern, der wie ein schwer erziehbares Kind über die Bühne hampelt? Nein, nein, Pest oder, wenn nicht, dann eben Cholera, auf diese Gleichung lassen wir uns nicht ein. Die moralische Anstalt Kabarett ist heute jedenfalls so notwendig wie das Fräulein vom Amt. Die meisten Politiker sind heute besser zu ertragen als ihre Clowns.
Man könnte gegen Ende den obligatorischen Schwanengesang auf die wirklich Guten und Großen anstimmen, so kurz nach dem Tod von Evelyn Hamann. Man könnte bedauern, dass der 83-jährige Loriot nicht mehr auf Sendung gehen will, weil er für seine Art Humor schon lange keinen Platz mehr sieht - und wenn man sich umschaut, hat er ja recht. Man könnte noch Dieter Hildebrandt hinterherwinken, der mit seinen Büchern als postmoderner Voltaire durch Deutschland reist. Für Gerhard Polt, Frank-Markus Barwasser, Josef Hader und den ewigen Otto lassen sich auch immer Wimpel schwenken.
Für den traurigen Rest im Fernsehen schreiben wir uns heimlich einen Zettel und legen ihn ins Portemonnaie. Und wenn wir irgendwann mal mutig sind und Lust darauf haben, mit den Augen zu zwinkern, dann zeigen wir auch, was da drauf steht: Verjage die Clowns!
SZ vom 3./4. November 2007
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