Exzerpt 1 FAMILIENALBUM Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLA BLA, im Rücken die Ruinen von Europa. Die Glocken läuteten das Staatsbegräbnis ein, Mörder und Witwe ein Paar, im Stechschritt hinter dem Sarg des hohen Kadavers, die Räte, heulend in schlecht bezahlter Trauer. WER ist die Leich im Leichenwagen / UM WEN hört man viel Schrein und Klagen. Es ist die Leich eines GROßEN / GEBERS von Almosen, das Spalier der Bevölkerung, Werk seiner Staatskunst. Er war ein Mann, nahm alles nur von Allen. Ich stoppte den Leichenzug, stemmte den Sarg mit dem Schwert auf. Dabei brach die Klinge, mit dem stumpfen Rest gelang es und verteilte den toten Erzeuger - FLEISCH UND FLEISCH GESELLT SICH GERN - unter den umstehenden Elendsgestalten. Die Trauerfeier ging in Jubel über, der Jubel in Schmatzen, auf dem leeren Sarg besprang der Mörder die Witwe. Soll ich dir hinauf helfen ONKEL, mach die Beine auf Mama. Ich legte mich auf den Boden und hörte die Welt ihre Runden drehen im Gleichschritt der Verwesung. ____________ Exzerpt 2 SOLL ICH WEILS BRAUCH IST; EIN STÜCK EISEN STECKEN IN DAS NÄCHSTE FLEISCH ODER INS ÜBERNÄCHSTE MICH DRAN ZU HALTEN WEIL DIE WELT SICH DREHT HERR, BRICH MIR DAS GENICK IM STURZ VON EINER BIERBANK ____________ Exzerpt 3 DAS EUROPA DER FRAU Ich bin Ophelia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau am Strick. Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern. Die Frau mit der Überdosis AUF DEN LIPPEN SCHNEE. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd. Gestern habe ich aufgehört mich zu töten. Ich bin allein mit meinen Brüsten meinen Schenkeln meinem Schoß. Ich zertrümmere die Werkzeuge meiner Gefangenschaft den Stuhl den Tisch das Bett. Ich zerstöre das Schlachtfeld das mein Heim war. Ich reiße die Türen auf damit der Wind herein kann und der Schrei der Welt. Ich zerschlage das Fenster. Mit meinen blutenden Händen zerreiße ich die Fotografien der Männer die ich geliebt habe auf dem Tisch auf dem Stuhl auf dem Boden. Ich lege Feuer an mein Gefängnis. Ich werfe meine Kleider in das Feuer. Ich grabe die Uhr aus meiner Brust die mein Herz war. Ich gehe auf die Strasse gekleidet in mein Blut. ____________ Exzerpt 4 Fernsehn Der tägliche Ekel Ekel Am präpariertem Geschwätz Am verordneten Frohsinn Wie schreibt man GEMÜTLICHKEIT Unsern Täglichen Mord gib uns heute Denn Dein ist das Nichts Ekel An den Lügen die geglaubt werden Von den Lügnern und niemandem sonst Ekel An den Lügen die geglaubt werden Ekel An den Visagen der Macher gekerbt Vom Kampf um Posten Stimmen Bankkonten Ekel Ein Sichelwagen der von Pointen blitzt Geh ich durch die Strassen Kaufhallen Gesichter Mit den Narben der Konsumschlacht Armut Ohne Würde Armut ohne die Würde Des Messers des Schlagrings der Faust Die erniedrigten Leiber der Frauen Hoffnung der Generationen In Blut Feigheit Dummheit erstickt Gelächter aus toten Bäuchen Heil COCA COLA Ein Königreich Für einen Mörder Auszüge aus DIE HAMLETMASCHINE Heiner Müller (1977)