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mcnep schrieb am 15.5. 2005 um 22:14:33 Uhr über

Halbplayback

CSD in Düsseldorf an einem grauen Pfingstsonntag, eine giftige Mischung für mein schwankes Gemüt. Und richtig sah ich zuerst nichts als Freßbuden, intersexuelle Verlierermasken und verliebte schwule Paare. So ein wenig hatte ich meine Segel zwar auf cruising gesetzt, aber meine bedrohte Laune schrumpfte spätestens nach zwei erfolglosen Werbungen mittels Blickficken gegen Null: Das eine war ein Sugardaddy mit Leninbart gewesen, das zweite ein gefährlich passgenauer junggebliebener Japaner in den 50, vermutlich allerdings ein Urophiler, wenn ich den Dresscode seiner schwarzen Schnürstiefel richtig gedeutet habe, ich weiß ja nicht, Ausgießung des heiligen Geistes stelle ich mir doch ein wenig anders vor. Und all die albernen Randerscheinungen des Kölner CSD, auf Schadowplatzniveau runterkondensiert: Schräge Schwestern und verklemmte Fotografen, vor allem aber jede Menge Heten aller Klassen, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließen, mal ein wenig Chichi zu tanken. Vorne staksten sie mit angehaltenem Atem an den Bratwürsten, Crepes und Tunten vorbei, hinten verlegen kichernd bei AIDSHilfe, Piercingfreaks und HuK wieder raus, überall das gleiche Spiel. Ich hatte meinen Platz in der Nähe der für die langjährigen Düsseldorfer Warmduscherverhältnisse mehr als erträglichen Fetischbar 'Depot' gefunden, aber auch da wurde ich, wie passend, mit niemandem warm und ich hielt den gaffenden familiären Sonntagsspaziergängern, die fast mehr als echte Kerle zu sein schienen, meine ledermännlichste Kampfhundvisage entgegen. Das Showprogramm hatte auch bis zu dem Zeitpunkt knapp unterhalb der Zweitklassigkeit gelegen, da wurde ein Coverkünstler Patrick angekündigt, auch das noch. Das erste Stück sagte mir gar nichts, Patrick sang auch noch Karaoketechnik, früher hätte man Halbplayback gesagt, aber die Stimme war kraftvoll, trainiert und gefällig. Das zweite Lied hatte ich schon mal irgendwo gehört und ich begann, mitzugehen, aufzutauen parallel zu der allmählich herauslugenden Pfingstsonne. Und das dritte Stück kannte ich genau, zum ersten Mal gehört und als Video gesehen hatte ich es in der persischen Imbißbude an den Unikliniken, wo Konrad und ich fast zum letzten Mal, wenn auch in verschiedenen Abteilungen unter einem Dach schliefen (ich mit einem Hundebiss, er mit dem gegen den eigentlichen finalen Schrecken so belanglosen Wirbelbruch). Und ich sang mit, recht sicher, obwohl ich das Stück vielleicht zum vierten Male hörte, alle sangen mit, keinen dieser Durchhalteschlager wie 'I will survive' oder 'Take a chance on me', sondern das sehr schöne 'Come undone' von RobbieWilliams. Und die Sonne war rausgekommen, richtig Kraft hatte sie, und bei den Bratwürsten winkten die Transen Aloha und ich stand da unter den nachtschwarzen Luftballons des 'Depot', rechts und links einen Kerl im Arm, fast eine Art glattledernes Oktoberfest, wir waren keine Zootiere mehr sondern freie Tierhaut, schon oder noch im gleichen Augenblick ein wenig peinlich, aber solange das Lied dauerte, solange schien die Sonne, solange war ich glücklich, und Valerie Solanas, die wirre Hexe, möge unheilig in ihrem Armengrab rotiert haben, als da eine Chorusline in Ketten, Jeans und Leder wie aus einer Kehle brüllte: »I AM SCUMDie Sonne hat sich später wieder verzogen und ist bis jetzt nicht wieder rausgekommen, aber morgen werde ich mir im Internet Poppers und die gesammelten Werke von RobbieWilliams holen. RobbieWilliams ist ein Ledermann.


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