Leutnant Gustl (im Original: Lieutenant Gustl) ist eine Novelle von Arthur Schnitzler, zuerst 1900 in der Weihnachtsbeilage der Neuen Freien Presse veröffentlicht und 1901 mit Illustrationen von M. Coschell unter dem Titel „Lieutenant Gustl“ im Verlag S. Fischer (Berlin) erschienen.
Der Text, der, erstmals in der deutschsprachigen Literatur, gänzlich als innerer Monolog gestaltet ist, analysiert die Ängste, Obsessionen und Neurosen eines jungen Leutnants der k.u.k. Armee, dessen Nachnamen der Leser nicht erfährt.
Schnitzlers Novelle wurde 1962 verfilmt, u. a. mit Hans Moser.
Inhaltsverzeichnis [Verbergen]
1 Inhalt
2 Deutung
3 Ehrenkodex
4 Reaktionen
5 Weblinks
Inhalt [Bearbeiten]Im Anschluss an ein abendliches Konzert, das er gelangweilt verfolgt hat, gerät Gustl, an der Garderobe des Konzerthauses stehend, in einen Streit mit Habetswallner, einem ihm bekannten Bäckermeister. Gustl, will seinen Säbel ziehen und wird hieran durch Habetswallner, der ihm körperlich überlegen ist, gehindert. Diese Schmach, von einem gesellschaftlich tiefer stehenden Bäckermeister beleidigt zu werden, vermag Gustl nicht zu verwinden und beschließt, dem militärischen Ehrenkodex verhaftet, am nächsten Morgen um sieben Uhr Selbstmord zu begehen, unabhängig davon, ob der Bäckermeister den Vorfall publik machen wird.
Auf seinem Weg nach Hause durchquert Gustl den Wiener Prater. Der Duft der ersten Frühlingsblumen lässt ihn in seinem Entschluss, Selbstmord zu üben, wanken. Das Wissen, von den Dingen des Lebens Abschied nehmen zu müssen, entfacht in ihm eine neue Lebensgier. Die Erinnerung an seine Familie, insbesondere an seine Mutter und seine Schwester, sowie an diverse, aktuelle und verflossene Geliebte versetzt ihn in tiefe Betrübnis, die er mit der autosuggestiven Feststellung, als österreichischer Offizier zum Selbstmord verpflichtet zu sein, zu betäuben versucht.
Gustl schläft auf einer Parkbank ein und erwacht erst am frühen Morgen. Bevor er nach Hause gelangt, wo er seinen Revolver gegen sich zu richten beabsichtigt, kehrt er in einem Kaffeehaus ein. Der dort arbeitende Kellner Rudolf berichtet Gustl, sein Beleidiger Habetswallner sei in der Nacht an einem Schlaganfall gestorben. Gustl, über alle Maßen erleichtert, nimmt freudig von seinen Selbstmordplänen Abstand und ergeht sich in Betrachtungen anstehender Unternehmungen. So wird er sich am Nachmittag desselben Tages mit einem Kontrahenten duellieren (Dich hau' ich zu Krenfleisch!).
Deutung [Bearbeiten]Leutnant Gustl war ein Beispiel für eine revolutionäre Erzähltechnik, den ununterbrochenen Inneren Monolog. Der Schauplatz der Handlung ist ausschließlich Gustls Denken. Daher wird der Akzent nicht von einem Erzähler auf bestimmte Aspekte der Handlung gelegt, sondern der Leser muss Gustls Gedanken werten. Gustl zieht sein Selbstwertgefühl allein aus seiner Uniform, bedauert es, keinen Krieg erlebt zu haben und verachtet Nichtmilitärs, wie man an seiner groben Behandlung des Bäckers sieht. Als diese Autorität erschüttert wird, scheint Gustl konsequent zu seinen Ehrbegriffen zu stehen; doch als er vom Tod Habetswallners erfährt, vergisst er seinen Vorsatz sofort. Der Ehrbegriff des K.u.k.-Militärs wird als hohl und selbstgerecht entlarvt. Dass manche bürgerliche Zivilisten schon längst gefahrlos den Respekt vor einem jungen vorlauten Leutnant verlieren können, zeigt die Fassadenhaftigkeit seines Selbstbildes. Viele seiner Gedanken drehen sich um Frauen, mit denen er Affären hatte. Gustl ist überzeugt, ungemein attraktiv auf diese Frauen gewirkt zu haben, hat längerfristige Bindungen aber immer abgelehnt, da diese Mädchen („Menscherl“) nicht gesellschaftsfähig waren. Gleichzeitig findet sich beim Leutnant ein rüder Antisemitismus, der sich immer wieder gegen die jüdische Bevölkerung in Wien und in der Armee richtet. Als Bezugspunkt gilt hier auch die Dreyfus-Affäre, die sich zur selben Zeit in Frankreich abspielte.
Ehrenkodex [Bearbeiten]Für das Militär um die Jahrhundertwende in Österreich-Ungarn war der Ehrbegriff eines der zentralen Themen, der von allen seinen Mitgliedern streng beachtet werden musste. So bestand noch bis 1911 (danach nur noch bei Ehebruch und wenigen weiteren Ausnahmen) die Pflicht für einen jeden Offizier, einer Duellierforderung unbedingt nachzugehen. Schnitzler traf mit der Novelle Leutnant Gustl die Schwachstelle dieses Ehrenkodexes, denn „satisfaktionsfähig“, also mit der Waffe Rechenschaft zu ziehen, waren nur Adelige, Militärs und Akademiker. Gustl, der sich von einem einfachen Bäckermeister bedroht fühlte, konnte seine Ehre also nicht mittels eines Duells verteidigen oder zurückerlangen, was ihn schließlich zum Selbstmord für die verlorene Würde treiben musste.
Reaktionen [Bearbeiten]Als offene Anklage des Militarismus und des diesigen Gesellschaftsbildes vom kaiserlichen Offizier erfuhr das Stück schon kurz nach seiner Veröffentlichung harsche Kritik, vor allem vonseiten des Militärs. Schnitzler, der selbst das Offiziersdiplom der Doppelmonarchie besaß, wurde infolge dessen des Offiziersstandes enthoben und galt fortan nur noch als gewöhnlicher Militär.
|