Sie überlegte, ob es nicht doch am besten sei, sich aus dem Staube zu machen, und sah sich nach Fluchtmöglichkeiten um. Dabei fiel ihr Blick auf eine seltsam schattenhafte Erscheinung in der Luft. Im ersten Augenblick wußte sie nicht, was das zu bedeuten hatte, nach näherer Beobachtung aber erkannte sie, daß es das Grinsen der Grinsekatze war .¾ Jetzt hab' ich wenigstens jemand, mit dem ich reden kann! dachte sie.
»Na, wie wirst du mit dem Spiel fertig?« erkundigte sich das Grinsen, nachdem es sich zum Katzenmaul vervollständigt hatte. Alice wartete, bis auch die Augen der Grinsekatze sichtbar wurden, und nickte zunächst nur, denn sie dachte: Ihr was zu sagen, hat noch keinen Zweck, bevor nicht auch die Ohren da sind, zumindest eines davon erkennbar ist. Als sich kurz darauf der ganze Kopf zeigte, setzte sie ihren Flamingo zu Boden und verbreitete sich über das Spiel, sehr erfreut, eine Zuhörerin zu haben. Die Katze war anscheinend der Meinung, daß mit dem Kopf genügend von ihr sichtbar war, jedenfalls ließ sie nicht mehr von sich sehen.
»Die Spieler benehmen sich unmöglich«, berichtete Alice. »Sie zanken sich so schrecklich, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen kann. Spielregeln kennen sie offenbar gar nicht, wenigstens halten sie keine ein. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es mich stört, daß sämtliche Spielutensilien lebendig sind! Das Tor zum Beispiel, durch das ich meinen Igel schlagen will, läuft plötzlich auf die andere Seite des Platzes, und der Igel der Königin, den ich mir aufs Korn genommen hab', um ihn zu krockieren, nimmt Reißaus, wenn er meinen Igel heranrollen sieht!«
»Gefällt dir die Königin?« flüsterte die Grinsekatze.
»Überhaupt nicht!« antwortete Alice. »Sie ist so unheimlich . . .« Da merkte Alice, daß die Königin hinter ihr stand und lauschte, und hastig fuhr sie fort: »...unheimlich geschickt im Spiel, daß es sich kaum lohnt, die Partie zu Ende zu führen.«
Die Königin lächelte und ging weiter. Der König trat zu Alice. »Mit wem sprichst du da?« fragte er und starrte neugierig zu dem Katzengesicht hinauf. »Mit meiner Freundin, einer Grinsekatze«, erläuterte Alice. »Darf ich sie Ihnen vorstellen?« »Dieses Wesen mißfällt mir außerordentlich«, bemerkte der König. »Indessen darf es mir die Hand küssen, wenn es mag. «Nein, das mag ich nicht", versetzte die Katze.
»Sei nicht so unverschämt!« schimpfte der König. »Und glotz mich nicht an!« Furchtsam flüchtete er sich hinter Alice.
»Katzen dürfen Könige anglotzen«, sagte Alice. »Das hab' ich mal gelesen, ich weiß nur nicht mehr wo.«
»Trotzdem muß sie entfernt werden«, antwortete der König unbeirrt und hielt die Königin an, die gerade vorüberging.
»Liebste, könntest du diese Katze wohl entfernen?«
Die Königin kannte nur ein einziges Mittel, um große oder kleine Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. »Schlagt ihr den Kopf ab!« befahl sie, ohne aufzublicken.
»Ich werde persönlich den Scharfrichter holen!« sagte der König eifrig und lief davon.
|