Ein Greenhorn
Lieber Leser, weißt du, was das Wort Greenhorn bedeutet? Eine höchst ärgerliche und geringschätzige Bezeichnung für jeden, auf den sie angewendet wird!
‚Green’ heißt grün, und unter ‚horn’ ist Fühlhorn gemeint. Ein Greenhorn ist demnach ein Mensch, der noch grün, also neu und unerfahren im Land ist und seine Fühlhörner behutsam ausstrecken muß, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, unliebsam anzustoßen.
Ein Greenhorn ist ein Mensch, der nicht von seinem Stuhl aufsteht, wenn eine Lady sich setzen will; der den Herrn des Hauses grüßt, bevor er der Mistreß und Miß die Verbeugung gemacht hat; der beim Laden des Gewehrs die Patrone verkehrt in den Lauf schiebt oder erst den Pfropfen, dann die Kugel und zuletzt das Pulver in den Vorderlader stößt. Ein Greenhorn spricht entweder gar kein oder ein sehr reines und geziertes Englisch. Ihm ist das Yankee-Englisch oder gar die Hinterwäldler-Mundart ein Greuel. Sie wollen ihm nicht in den Kopf und noch viel weniger über die Zunge. Ein Greenhorn hält ein Racoon für ein Opossum und eine leidlich hübsche Mulattin für eine Quadrone. Ein Greenhorn raucht Zigaretten und verabscheut den tabakspeienden Sir. Ein Greenhorn läuft, wenn er vom Paddy eine Ohrfeige erhalten hat, mit seiner Klage zum Friedensrichter, anstatt, wie ein richtiger Yankee tun soll, den Kerl einfach auf der Stelle niederzuschießen.
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Ein Greenhorn hat fünf Jahre lang Astronomie studiert, kann aber ebensolange den gestirnten Himmel anstarren, ohne zu wissen, wieviel Uhr es ist. Ein Greenhorn steckt das Bowiemesser so in den Gürtel, daß er sich beim Bücken die Klinge in den Schenkel sticht. Ein Greenhorn macht im Wilden Westen ein so starkes Lagerfeuer, daß es baumhoch emporlodert, und wundert sich dann, wenn er von den Indianern entdeckt und erschossen worden ist, darüber, daß sie ihn haben finden können. Ein Greenhorn ist eben ein Greenhorn – und ein solches Greenhorn war damals auch ich.
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aus: Karl May: Winnetou I, Ges. Werke Bd. 7
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