Die Erfahrung, die Jesus am Gründonnerstag in Gethsemane gemacht hat, ist unterschiedlich wiedergegeben worden. Lukas versucht, diese Erfahrung mit Hilfe eines Engels darzustellen, der den Betenden stärkt. Aber das würde es uns zu leicht machen: das Mirakulöse hat immer die Gefahr in sich, Jesus von uns zu trennen, ihm Privilegien zuzuweisen, ihm einen Sonderstatus, den er nicht hatte, anzudichten. Jesus bittet darum, verschont zu bleiben, das ist der Inhalt seines Gebets. Aber auf diese Bitte erhält er keine Antwort. Gott schweigt, wie so oft in der Geschichte der Menschen, Jesus bleibt allein mit seinem wiederholten Schrei, seiner Todesangst, seiner wahnwitzigen Hoffnung, seinem bedrohten Leben.
»Meine Seele ist betrübt bis an den Tod, bleibet hier und wachet mit mir« (Matth. 26, 38). Nicht einmal seine Freunde, mit denen er Wandern und Heilen, Aufgenommen- und Verfolgtwerden, Gespräch und Leben geteilt hat, bleiben bei ihm. Sie schlafen ihm weg wie Kinder, denen es zu lang geworden ist. Lukas, der ein Interesse daran hat, sie etwas besser wegkommen zu lassen, sagt, sie seien »vor Betrübnis« eingeschlafen. Aber es ist nur wie ein Glied in der Kette der Erfahrung, die Jesus macht: verraten, verleugnet, im Stich gelassen zu werden - und, das Harmloseste: seine Freunde schlafen zu sehen, wenn man sie braucht...
Aus: Dorothee Sölle, Leiden, Stuttgart 1973
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