Das nachfolgende Abenteuer von Dr. van Helsing wird euch als gebührenfreie Wiederholung präsentiert von der örtlichen Volkshochschule.
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VAN HELSING - KEINE GOLDBÄREN IN TRANSSILVANIEN
Ich hatte vor einigen Jahren auf einer meiner abenteuerlichen Reisen als berühmter Vampirjäger eine schicksalhafte Begegnung mit einer Wurstbudenbesitzerin in Südtranssilvanien. Auf Anraten meines geschätzten Kollegen Professor Abronsius von der Universität Kurnigsburg (Российская Федерация) war ich hierher in die Südkarpaten gefahren, durchaus mehr als eine halbe Tagesreise entfernt vom Schloss des Grafen Dracula, das ja bekanntlich im stets nebligen Osten Transsilvaniens hoch oben auf dem höchsten Berg thront.
Neben grau-grünlichen Bratwürsten und groben Blutwürsten bot sie seltsamerweise in ihrer Wurstbude auch allerlei Süssigkeiten zur Verkostung an. Ich fragte sie nach Goldbären, doch sie schüttelte nur den Kopf und ermunterte mich stattdessen, ihre Wurstspezialitäten zu probieren.
Die Graugrünlichen schmeckten noch um einiges schauriger, als sie aussahen. Die Blutwürste aber, die hatten es wahrhaftig in sich. Die waren ungeheuer lecker und haben sogar mir, einem sehr anspruchsvollen Esser und überzeugten Gourmet, geradezu köstlich gemundet.
Auffällig war jedoch, dass die Wurstbudenbesitzerin ihre Wurstbude immer erst nach Einbruch der Dunkelheit öffnete. Ebenso auffällig waren ihre Kunden, die ausnahmslos schwarze Kleidung und wallende Umhänge trugen.
Ich sah, dass sie allesamt den grau-grünlichen Bratwürsten keinerlei Beachtung schenkten, sondern ausschließlich nach den größten und dicksten Blutwürsten verlangten. Kaum gekauft, schlangen sie diese überaus gierig und laut schmatzend und sogar grunzend herunter.
Nun waren es weniger die mangelnden Essmanieren, die mich misstrauisch werden ließen, schließlich waren wir ja in Südtranssilvanien. Es waren vielmehr die Lebensgeister, die nach dem Genuss der groben Blutwürste auf einmal sichtlich und fast leibhaftig in der Kundschaft jener Wurstbudenbesiterin erwachten.
Jeden Abend wiederholte sich das selbe Geschehen. Und es waren jeden Abend die selben Kunden, die zunächst scheinbar kraftlos und müde zur Wurstbude schlichen, die grau-grünlichen Bratwürste ignorierten und ausschließlich die grobe Blutwurst bestellten. Jeden Abend hörte ich das gierige Schmatzen und Grunzen. Und kaum waren die Blutwürste verschlungen, wirkten die Kunden auf einmal wieder frisch und voller Tatendrang.
Am fünften Abend nahm ich ein Bündel Knoblauchzehen mit zu meinem Beobachtungsstand, nur wenige Schritte neben der Wurstbude. Ich wollte mich davon überzeugen, ob mein Verdacht gerechtfertigt war.
Und als das große Schmatzen und Grunzen wieder begann, schritt ich forsch zur Wurstbude und mischte mich mitten unter die schwarz bekleideten Kunden. Als ich die Knoblauchzehen aus der Tasche zog, wichen die Kunden entsetzt und wild gestikulierend zurück.
Ich hatte also Recht gehabt. Mein Anfangsverdacht hatte sich zweifelsfrei bestätigt.
An dieser Wurstbude mitten in Südtranssilvanien versorgte die Wurstbudenbesitzerin echte Vampire mit ihrem Lebenssaft. Menschenblut, wie meine späteren Untersuchungen ergaben.
Doch handeln musste ich sofort.
Ich hatte die Magazine meiner Vampirtöter, wie ich meine automatischen Schnellfeuerwaffen liebevoll nannte, mit hunderten von mit Silber überzogenen karpatischen Eichenholzpflock-Patronen geladen, mit denen ich jetzt die Herzen der Blutwurst liebenden Vampire duchlöchern musste. Schuss für Schuss traf wohl gezielt und löschte Vampir nach Vampir endgültig aus.
Nun muss ich zugeben, dass ich diesmal ein wildes Gemetzel unter all den Untoten veranstaltete, das wenig appetitlich war.
Aber mir blieb keine andere Wahl. Es ging ja nicht nur um die Zukunft Südtranssilvaniens, sondern um die Zukunft der gesamten Menschheit.
Die Wurstbudenbesitzerin war sofort geständig. Sie hatte tagsüber Touristen, die ahnungslos in den umliegenden Pensionen abgestiegen waren, mitleidlos ermordet und anschließend verwurstet, damit sich ihre Vampirkunden an deren Blut laben konnten. Noch heute fühle ich übrigens ein Grummeln in den Tiefen meiner Gedärme, wenn ich daran denke, dass auch ich von ebendieser Blutwurst gekostet hatte.
Pflichtgemäß übergab ich die mordlustige Wurstbudenbesitzerin den örtlichen Behörden. Sie wurde anschließend vom lokalen Schwurgericht in einem spektakulären Strafprozess zu lebenslangem Gefängnis verurteilt.
Aus sicherer Quelle weiß ich, dass sie noch heute in der Gefängnisküche arbeitet. Jeden Dienstag und Samstag brät sie dort scheinbar frische, aber grau-grünliche Bratwürste, die an diesen beiden Abenden den Häftlingen zusammen mit trockenem und ebenfalls grau-grünlichem Brot zum Nachtmahl vorgesetzt werden. Seit Neuestem gibt es nur Samstags zum Nachtisch Goldbären, aber ausschließlich die roten.
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Autorisierte Übersetzung aus dem Niederländischen gebührenfrei präsentiert von der örtlichen Volkshochschule.
© Dr. van Helsing Stichting, Den Haag, Koninkrijk der Nederlanden
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