Wieder einmal wurde eine Hexenverbrennung angekündigt. Der säuberlich aufgeschichtete Scheiterhaufen stand vor der Stadtmauer im trockenen Schotterbett eines Flusses. Wir sahen unsere wichtigste Aufgabe darin, jede sogenannte Hexe vor ihrer Hinrichtung zu bewahren. Die meisten von uns waren selbst als Hexe angeklagt und verdanken unserer Bande ihr Leben.
Dieses Mal konnten wir unsere Leidensgenossin nicht heimlich befreien, weil die Stadttore nachts geschlossen waren, und keine Fremden Zutritt hatten. Einerseits waren die Richter und Wächter zwar sehr gewissenhaft, andererseits ging es kaum dümmer. Wenn nämlich die Hinrichtung misslingt, wurde es als Gottesurteil aufgefasst und die Betroffene wieder auf freien Fuß gesetzt. Nun, sie sollten ihr Gottesurteil haben!
Dicht neben dem Scheiterhaufen mündet ein Mühlbach in den Fluss, der weiter oben in einem kleinen See aufgestaut war. Gegen Abend sollte die arme Frau hingerichtet werden. Wir hätten ihr die Todesangst nur zu gerne erspart, aber es wollte uns nicht gelingen. Am Samstagabend wurde sie also zur makabren Unterhaltung der Schaulustigen auf den Scheiterhaufen geführt. Das Mühlbachwehr war nicht mehr besonders stabil, und wir hatten uns gut vorbereitet. Genau als der Henker den Haufen entzündete, ging das Wehr aus unerfindlichen Gründen plötzlich zu Bruch. Die Wassermassen des Stausees wälzten sich als Flutwelle durch das Bachbett, löschten rechtzeitig die züngelnden Flammen und spülten das meiste aufgeschichtete Holz fort.
Die abgeurteilte Hexe war ab sofort unschuldig, weil der Herrgott es angeblich so wollte. Wie das Gesetz es befahl, wurde sie vor der Stadtmauer ausgesetzt. Sie hatte trotzdem kaum eine Überlebenschance, weil sie durch Folter und Kerker total entkräftet war. Selbstverständlich nahmen wir uns ihrer an. Auch sie konnte ebenso wenig wie wir weder zaubern noch fliegen. Außerdem ging bei dem Ansturm von Wasser und Holzscheiten auch noch die kleine Brücke über den Fluss zu Bruch. Wir hatten im Namen Gottes ganze Arbeit geleistet. Die Bürger rätselten noch lange, wo sie wohl geblieben war.
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